In der Wachstumsfalle – neue Lektüre zu einem schwierigen Thema

Grünes Wachstum hieß die Devise in den vergangenen Jahren, doch funktioniert dieses Konzept wirklich, und funktioniert es schnell genug, um den Klimawandel rechtzeitig abzubremsen – ehe dieser nämlich den Globus Schrittchen für Schrittchen in ein Chaos verwandelt? Diese Fragen sind trotz Flüchtlingskrise nicht obsolet, eher im Gegenteil. Gehören doch Massen von Umweltflüchtlingen zu den übereinstimmend prognostizierten Schreckensszenarien in einer klimagewandelten Welt.
Mit dem Thema Green Growth beschäftigt sich in ihrem vor einigen Monaten bei Blessing erschienenen Buch „Aus kontrolliertem Raubbau“ die als Kritikerin der herrschenden ökonomischen Verhältnissen bekannte Journalistin Kathrin Hartmann. Sie hat sich auf ihren ausführlichen Recherchen auch am Ort des Geschehens unter anderem die Themen Palmölexport, Shrimpsfarmen, Agrogentechnik und Forschungsförderung durch die Gates-Stiftung herausgepickt. Am besten und ausführlichsten ist ihre Kritik an zwei Vorzeigeprojekten der sogenannten grünen Wirtchaft im Süden: der Anbau von Ölpalmen, seien die Plantagen nun zertifiziert oder nicht, und der Aufbau von Shrimpsfarmen in dafür geeigneten Gegenden, oft anstelle der dort früher befindlichen Reisfelder. Die Bilanz Hartmanns für beides fällt verheerend aus, und leider betrifft das auch die Zertifizierungsprojekte, die mit diesen beiden Formen der Landnutzung verbunden sind. Am erschütterndsten ist, dass in den Gegenden, wo sie sich ausbreiten, nun statt der früheren Ernährungssouveränität Hunger herrscht. Andere Kapitel sind weniger überzeugend, vor allem deshalb, weil Hartmann hier weniger auf den eigenen Augenschein vertraut, als Quellen mehr oder weniger zu übernehmen, die selbst erst vor kurzem erschienen sind. So zitiert Hartmann in ihrem Kapitel über Geoengineering exzessiv aus Naomi Kleins letztem Buch „Die Entscheidung: Kapitalismus oder Klima“. Wer es gelesen hat, wie wahrscheinlich manch eine Person, die auch zu Hartmanns Buch greift, findet dort kaum noch Neues. Ähnlich das Kapitel über die Gates-Stiftung. Hier wäre weniger mehr gewesen: statt des grlßen Rundumschlags die Fokussierung auf die Themen, wo das Wissen der Autorin dank Augenschein am tiefsten reicht und die Bilder und Fakten, die sie transportiert, die Leserschaft eigentlich nicht unberührt lassen können. Fazit: Green Growth ist eine Illusion, gerade in Landwirtschaft und Tierzucht wird gelogen, dass sich die Balken biegen, und zudem liegt mit dem Weltagrarbericht längst eine sehr hochrangige Expertise auf dem Tisch, die glaubhaft belegt, dass mit den Produkten der Agrargiganten auf die Dauer die Menschheit nicht satt zu bekommen ist, sondern nur mit relativ kleinteilgem, ökologischem Mischfruchtanbau. An den hier vorgeschlagenen Methoden lässt sich freilich nicht so viel von Firmen wie BASF oder Monsanto verdienen.
Wer es gern etwas theoretischer hätte, kann zur „Kritik der grünen Ökonomie“, herausgegeben vom Münchner Oekom-Verlag zusammen mit der Heinrich-Böll-Stiftung greifen. Der Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks, ist ein Vertreter des grünen Wachstums, weil sich sonst der Wohlstand der „unterentwickelten Länder“ nicht ausreichend steigern ließe, um die dortigen Menschen zufriedenzustellen und gleichzeitig die hiesigen Sozialsysteme zerfielen, sobald das Wachstum ausfällt. Gleichzeitig gibt es in der Heinrich-Böll-Stiftung auch eine ganze Reihe von Kritikern am nunmehr zur offiziellen Politiklinie gereiften Green-Growth-Ansatz. Das Buch kommt eher aus dieser Quelle. Es rollt das Thema in drei großen Abschnitten auf und plädiert am Ende für ein wieder errichtetes Primat der Politik. Teil 1 behandelt die teils sattsam bekannten kritischen Themen Klimawandel, Artenverlust, Verlust an Bodenfruchtbarkeit und soziale Ungleichheit, um abschließend das Konzept des Green Growth vorzustellen. Teil zwei erklärt und kritisiert verschiedene aktuelle Konzepte, die mit rein ökonomischen und technologischen Mitteln das Problem in den Griff bekommen wollen, etwa die „Inwertsetzung“ von Natur und Gemeinschaftsressourcen wie Luftreinheit und Innovation sowie die damit verbundenen Mechanismen wie den Handel mit Klimazertifikaten. Im dritten Teil setzen sich die Autoren mit Ansätzen der Umweltpolitik auseinander, etwa mit dem Zertifikatehandel und mit der Unmöglichkeit, dass das Handeln der Zivilgesellschaft allein das Problem lösen kann, etwa durch bewusste Kaufentscheidungen. Abschließend fordern sie eine neue „Politische Ökologie“, die die blinden Flecke der derzeitigen, rein ökonomisch ausgerichteten Lösungsversuche ersetzen und durchaus auch die Macht- und Gestaltungsfrage neu stellen soll.
Wer anspruchsvolle Grafiken zur Untermauerung der These, dass dauerhaftes Wachstum unmöglich ist, sucht, sollte zu der vor kurzem erschienenen
Band „Weniger wird mehr“ der Veröffentlichungsreihe Atlas der Globalisierung“ von Le Monde Diplomatique zu Rate ziehen. Die Veröffentlichung wurde gestaltet mit dem Kolleg „Postwachstumsgesellschaften“ der Universität Jena. Angefangen bei den Folgen unseres Wirtschaftens reicht das Themenspektrum der zwei-bis vierseitigen Artikel über die verschiedenen Postwachstumsgesellschafts-Denkansätze bis hin zu Schlussfolgerungen, die wahrscheinlich nicht jeder teilt, aber die zumindest jeder kennen sollte. Die Grafiken sind gelegentlich sehr komplex, so dass man zu ihrem Verständnis beinahe länger braucht als zum Lesen. Wohl mit am wichtigsten ist ein Artikel etwa in der Mitte der Publikation, der erklärt, warum sich alle so schwer tun damit, sich vom Wachstum zu verabschieden – nämlich, weil keiner weiß, wie man ohne unangenehme Verwicklungen von A nach B kommen soll. Daran müsse noch geforscht und entwickelt werden, heißt es. Leider aber ist genau davon weder in Mainstream-Ökonomie, noch in Mainstream-Politik viel zu spüren.

Bibliographie: Thomas Fatheuer, Lili Fuhr, Barbara Unmüßig: Kritik der Grünen Ökonomie. 196 Seiten, broschiert, Oekom-Verlag München 14,95 Euro. ISBN 9-78365-817488
Kathrin Hartmann: Aus kontrolliertem Raubbau. Wie Politik und Wirtschaft das Klima anzeizen, Natur vernichten und Armut produzieren. 447 Seiten, broschiert, Blessing-Verlag München, 18,99 Euro. ISBN 978-3-89667-532-3. Taz-Genossenschaft: Le Monde Diplomatique/Kolleg Postwachstumsgesellschaften: Atlas der Globalisierung – Weniger wird mehr. 173 Seiten, DIN A 4 broschiert, 16 Euro, ISBN 978-3-937683-57-7

Über den Zusammenhang von Wirtschaftswachstum, Klimawandel und Armut.

Naomi Klein, die bekannte amerikanische Autorin, die sich mit ihren Büchern, zum beispiel „No Logo!“ (Kritik an internationalen Großkonzernen) und „Die Schock-Strategie“ (Kritik an Großkonzernen, IWF und Weltbank) bisher vor allem mit fragen von Arm und Reich auseinandersetzte, hat nun den Bogen von ihrem angestammten Themengebiet zum Thema Klima geschlagen. Der Kapitalismus heutiger Prägung verursache, so ihre These in „Die Entscheidung. Kapitalismus vs Klima“ verursache nicht nur, dass sich die Schere zwischen arm und reich immer weiter öffne. Gleichzeitig sei er verhinderten die Wachstumszwänge des Systems die Klimawende, weil Kohle und Gas kurzfristig am günstigsten erschienen und die Wachstumsgesellschaft auf billige Energie angewiesen sei. Das ist an sich nicht neu, interessant ist jedoch, was die Autorin innerhalb der fünfjährigen Recherche dieses Buches beispielsweise über die gesundheitlichen Folgen des Fracking für die Bewohner der betreffenden Regionen in Erfahrung gebracht hat und berichtet. Auch was sie über ihre Teilnahme an einem Geoingeneering-Kongress erzählt (immerhin ein ganzes Kapitel ist dem Thema gewidmet) wirkt teils erschreckend, teils wie reine Satire.
Ihre Erkenntnis: Wer auch immer in welcher Funktion auch immer von der Industriegesellschaft profitiert, wird nur sehr wenig wahrscheinlich Großes zur Lösung der Klimafrage beitragen. Die Aktivitäten von Großmäzenen wie dem Virgin-Airlines-Gründer Bronson oder auch der Gates-Stiftung, die allesamt großtechnische Lösungen statt gesellschaftlichem Wandels nutzen wollen, um das Schlimmste noch zu verhindern, hält sie für wenig zielführend.
Die größte Hoffnung der Autorin sind die indigenen Völker und überhaupt jede Gruppe, die noch heute alltäglilch spürbar von eienr intakten ökologischen Umgebung abhängig ist, um ihren Lebensstil weiter verfolgen zu können. Ein Beispiel dafür sind die nordamerikansichen Indianer, die aufgrund der ihnen gewährten Landtitel nun teils erfolgreich gegen Teersandabbau oder Kohleprojekte in ihren Territorien klagen. In Bayern könnten eine ähnliche Rolle wohl die Bergbauern spielen, deren Territorium ja ebenfalls durch eine Mischung aus Tourismus, ruinöser Agrarökonomie und Klimawandel verwüstet wird. Würden sich solche Gruppen zusammentun mit anderen, die aus anderen Gründen Widerstand gegen die heutige Wirtschaftsweise leisten, hofft die Autorin, dann könnte daraus ausreichend Schwung entstehen, um endlich die globale Wende einzuleiten.
Klein vergleicht die Aufgabe, diesen herbeizuführen, mit dem Aufgeben des Sklavenhandels, der ebenfalls für viele ökonomische Einbußen bedeutet habe und nur mit einer moralischen (nicht einer ökonomischen) Argumentation wirksam zu bekämpfen war.
Kleins Recherchen enden 2014 – die Krise der deutschen Solarenergie kommt darin noch nicht vor, genau so wenig wie der Preisverfall beim Rohöl. Kurz: Auch die von ihr verzeichneten Hoffnungsschimmer wirken recht blass. Wer das Buch liest, gewinnt letztlich den Eindruck, dass nur ein Wunder oder aber die massenweise Überwindung des inneren Schweinehundes im Westen den Globus mittelfristig vor dem Kollaps bewahren kann.
Trotzdem ist es eine lohnende Lektüre, weil es auch erhellt, warum wir alle nicht hinsehen. Und Einsicht ist noch immer der erste Schritt zur Besserung – leider allzu oft auch der einzige, nach dem nicht mehr viel kommt als das Weiter So. Die Autorin selbst hatte übrigens zehn Jahre lang eine Gold-Vielfliegerkarte, hat also ihr eigenes Kohlendioxidsoll zigfach übererfüllt. Das macht ihre Argumentation nicht weniger valide, zeigt aber, dass man auch mit einem kritischen Bewusstsein absolut nicht davor gefeit ist, beim Thema Klima den Kopf in den Sand beziehungsweise über die Wolken zu strecken.

Bibliographie: Naomi Klein: Die entscheidung. Kapitalismus vs. Klima. S. Fischer Verlag Frankfurt 2015. Gebunden, 698 Seiten, umfangreiches Anmerkungsverzeichnis. ISBN 978-3-10-002231-8, 26,99 Euro

Rezension: Degrowth-Theorie vom Feinsten

Wer einmal kurz und präzise gefasst nachlesen möchte, was die Argumente dafür sind, dass sich die Wirtschaft, wenn sie nachhaltig werden will, vom Wachstumsparadigma verabschieden muss, ist mit dem Bändchen „Es reicht! Abrechnung mit dem Wachstumswahn“ des Franzosen Serge Latuche bestens bedient. Auf nur 200 DIN-A-6-Seiten und versehen mit einem Vorwort von einem der radikalsten Wachstumkritiker hierzulande, Niko Paech, legt Latouche, emeritierter Wirtschaftswissenschaftler dar, warum Wachstum als Ziel und Konzept dauerhaft auf einem endlichen Planeten nicht funktionieren kann. Dabei vermeidet es der Wissenschaftler, der sich neben Ökonomie auch noch mit Philosophie auskennt, sich in ideologischen Scharmützeln wie der Debatte Kapitalismus versus Sozialismus oder Kommunismus zu verstricken. Vielmehr argumentiert er konsequent mit den ökologischen, aber auch sozialen Grenzen, die das Wachstumskonzept erreicht oder überschreitet: Wenn fürs Wachstum alles zur Ware gemacht wird, wo ist dann der Platz für Menschlichkeit. Latouche arbeitet sich bei seinem Konzept der Wachstumsrücknahme an den Begriffen Reevaluation und Rekonzeptualisierung (unserer Werte), Restrukturierung (unseres Produktionssystem entsprechend dem neuen Wertesystem), Redistribution (des Reichtums weltweit), Relokalisierung (der Ökonomie), Reduktion (des Verbrauchs) und Recycling (von Gütern und Waren) entlang, was zeigt, dass er es für unmöglich hält, ein nachhaltiges Wirtschaftssystem ausschließlich durch den Einsatz neuer technologie zu schaffen. In der Tradition von Denkern wie Illich fordert er, ausgehend von lokalen Initiativen, den Aufbau einer neuen, auf Konvivalität fokussierten Gesellschaft, die Wachstum nicht mehr will, weil es dem zentralen Konzept einer solchen Gesellschaft, nämlich dem gedeihlichen menschlichen Miteinander, ab einem bestimmten Punkt im Wege steht, den westliche Zivilisationen längst überschritten haben. Interessant ist, wie Latouche Menschenrechte und Humanismus diskutiert: Weder möchte er eine Gesellschaft, in der der Mensch als Gipfel der Schöpfung betrachtet wird, noch argumentiert er wie radikale Tierrechtler, die gar keinen Unterschied zwischen Mensch und Tier mehr machen wollen. Vielmehr sucht er auch hier einen Mittelweg, der Lebewesen und auch Dinge wieder in ihrer Einmaligkeit und Existenzberechtigung würdigt, statt sie um des Gewinns und des Wachstums willen sinnlos auszurotten oder vorzeitig zu zerstören, damit neu gekauft werden muss oder weiter gewachsen werden kann.

Bibliographie: Serge Laltouche: Es reicht! Abrechnung mit dem Wachstumswahl. Mit einem Vorwort von Niko Paech. Gebunden, 200 Seiten, Oekom-Verlag, München 2015. ISBN9-783865-817075, 14,95 Euro.

Warum der Abschied vom Wachstum schwer fällt, aber unausweichlich ist (Rezension)

Das wichtigste Konzept der Ökonomie heißt derzeit Wachstum. Ob nun qualitativ, nachhaltig oder grün – Wachstum muss sein, und zwar möglichst weltweit, nicht nur in den noch weniger wirtschaftlich entwickelten Regionen dieser Erde. Warum dieses Konzept an Grenzen stößt, welche dies sind und warum sie von unserem politischen Willen mehr oder weniger unabhängig existieren, davon handelt „Sklaven des Wachstums“ von Reiner Klingholz, dem Leiter des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung.
Klingholz` Argumentation ist so klar wie schwer widerlegbar: Die Menschheit wächst zwar noch, wird aber damit schon bald damit aufhören und muss dies auch, weil die Tragfähigkeitsgrenzen des Globus durch den Schadstoffausstoß und Ressourcenverbrauch erreicht werden. Sonst verschlechtern sich die ökologischen Lebensbedingungen der Menschheit bis hin zu unlebbaren Zuständen.
Das Dilemma sieht Klingholz auf der individuellen Ebene darin, dass Wachstumsverzicht von Einzelnen nicht anerkannt wird und strukturell sehr schwierig ist. In der politischen Dimension sieht er das Problem darin, dass auf dem Globus sehr unterschiedlich entwickelte Länder und Ökonomien nebeneinander existieren: von der fast noch Subsistenzwirtschaft bis hin zu den voll entwickelten Industriegesellschaften. Daraus ergibt sich zwangsläufig eine unterschiedliche Einstellung zum Wachstum: Arme Ökonomien müssen seiner Meinung nach vorläufig wachsen, obwohl dies die Ökosphäre belastet, um so wohlhabend zu werden, dass sie sich den demografischen Übergang leisten können. Reiche Nationen, die bereits heute weniger Nachkommen erzeugen als zur Reproduktion nötig, müssen sich dagegen schon jetzt auf schrumpfende Ökonomien einstellen – einfach deshalb, weil weniger Menschen weniger produzieren und verbrauchen. Das Erstaunliche daran ist, dass, wenn dieser Übergang einmal stattgefunden hat, es nach bisherigen Erkenntnissen keine Rückkehr zu hohen Geburtenraten mehr gibt, auch wenn ein Land anschließend wieder ärmer wird.
Dass in reicheren Ländern die Bevölkerungen anfangen zu schrumpfen, ist an sich eine gute Nachricht, heißt es doch nichts anderes, als dass das uferlose Anwachsen der Menschheit in mittelfristigen Zeiträumen endet – und mit ihm das Wirtschaftswachstum, denn um Milliarden geringere Bevölkerungen verbrauchen und konsumieren zwangsweise weniger, was letztlich der uns tragenden Ökosphäre die dringend nötige Entspannung bringen wird.
Doch bis dahin rast, so Klingholz, die Menschheit auf ein Nadelöhr zu, das in den reichen und armen Ländern unterschiedlich aussieht: In den reichen Ländern besteht das Problem darin, dass sie die bald schon vorhandenen Rentner-Massen ausreichend versorgt werden müssen, obwohl die Wirtschaft längst nicht mehr mit den Raten der Nachkriegszeit wächst und wohl auch nie mehr wachsen wird. Gebe es in einem Land einen Kapitalstock wie etwa in der Schweiz oder Norwegen, sei das, so Klingholz, ein zu bewältigendes Problem. Wo dieser fehle oder noch fehle, etwa in China, werde es schwierig.
Arme Ökonomien aber müssen wachsen, obwohl ihre ökologische Basis das manchmal kaum noch zulässt. Ob und in welchem Umfang das gelinge, sei, so Klingholz, zweifelhaft. Gelinge es ihnen nur mangelhaft, einen gesellschaftlichen Kapitalstock aufzubauen, weil zum Beispiel wie in Ägypten oder anderen Ökonomien keine Arbeit verfügbar ist, wenn die Vermehrungsraten zu sinken beginnen, müssen die Gesellschaft sich zunächst mit Unmassen arbeits- und zielloser junger Menschen ohne Hoffnung herumschlagen und anschließend mit Massen verarmter alter Menschen.
Wie es gelingen kann, Ökonomie, Ökologie und Demografie auf für die Menschheit gedeihliche Weise miteinander zu vereinbaren (Klingholz spricht hier von einem Trilemma), weiß auch der Autor nicht. Er betont an mehreren Stellen, dass auf der Suche nach neuen Wegen wahrscheinlich Konflikte, Krisen und Notlagen, immer häufiger ökologischen Ursprungs, als Auslöser eine wichtige Rolle spielen werden.
Immerhin öffnet er aber den Lesern und Leserinnen die Augen für die auf Dauer unvermeidbaren Abschied vom Wachstumsparadigma jedweder Färbung und die damit notwendigen Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Sie können sich seiner Meinung nach mangels bekannter Vorbilder nur als schrittweiser, auf vielen Ebenen und in vielen Formen stattfindender iterativer Suchprozess gestalten. Trotzdem ist Klingholz keineswegs hoffnungslos: Lebewesen in der Natur gelinge es schließlich flächendeckend, nach dem Wachstum lange in einem Reifestadium zu überleben, bevor sie irgendwann vergehen, schreibt er – warum solle dies bei der Menschheit anders sein?
Eine lesenswerte, gut geschriebene und weitgehend allgemein verständliche Lektüre für alle, die vor den Tabuthemen Demografie und Wachstumskritik nicht zurückschrecken.

Bibliographie: Reiner Klingholz: Sklaven des Wachstums. Die Geschichte einer Befreiung. Campus-Verlag 2014. 348 Seiten, gebunden, inklusive E-Book zum Herunterladen. ISBN 978-3-593-39798-6, 24,99 Euro.

SPIEGEL-Artikel: Warum manche downgraden

Verzicht gilt immer noch als eine Art Schwachsinn und noch dazu als wachstumsschädlich. Aber inzwischen interessiert sich sogar der SPIEGEL, sonst eher ein Rückzugsraum für Wachstumsbegeisterte, dafür, warum Menschen sich selbst freiwillig einen nicht konsumorientierten Lebensstil verordnen und konsequent durchziehen. Höchst interessanter Artikel also für jeden, der das dumme Gefühl hat, dass Kleiderschrank, Kühlschrank und Mülltonne notorisch zu voll sind, während sich das Konto konsumhalber viel zu schnell leert.

nachhaltige-it referiert ausführlich Obsoleszenz-Studie

Alle schreiben sie darüber, doch natürlich nur räumlich begrenzt. Was steht im Detail in der Obsoleszenz-Studie der Grünen? Wer etwas mehr über die konkreten Inhalte wissen will, abe rerst später entscheiden will, ob er/sie sich die Studie herunterlädt, kann einen Blick auf nachhaltige it werfen. Dort findet sich eine ausführliche Inhaltsangabe mit einigen Anmerkungen. Soviel hier auf dem Wirtschaftsblog: Das Thema Obsoleszenz wird ja gerne im Kontext von Wachstum und Arbeitsplätzen diskutiert. Nach Lektüre des Werks ist man da jedenfalls nicht mehr so sicher.

Bundestags-Enquete streitet sich über Wohlstand, Wachstum und Lebensqualität

Die 2011 einberufene Bundestags-Enquete zu Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität kann sich nicht über die Bedeutung und Inhalt des Wachstumsbegriffs und auch nicht über die fehlende oder vorhandene Notwendigkeit von Wachstum einigen. Das stellte sich heute anlässlich der vorläufigen Ergebnispräsentation der Projektgruppe 1: Stellenwert von Wachstum in Wirtschaft und Geselllschaft. Die Gruppe war nicht im Stande, eine einheltiches Papier vorzulegen, sondern wird zwei präsentieren, in denen sich die in Kernbereichen divergierenden Ansichten zur Notwendigkeit von Wirtschaftswachstum widerspiegeln. Damit reflektiert die Enquete genau den derzeitigen Stand des Konflikts zwischen Befürwortern dauerhaften Wachstums und einer zunehmenden Menge an Zweiflern, die glauben, dass es auf einem begrenzten Planeten kein unbegrenztes materielles Wachstum – welcher Art auch immer – geben kann.
Dieser Stand der Dinge macht es unwahrscheinlich, dass die Enquete insgesamt zu einem sinnvollen Konsens findet. Vielmehr steht zu befürchten, dass der Graben zwischen Wachstumsbefürwortern und -gegnern weiter geöffnet wird. Was ja nun leider auch der Tatsache entspricht, dass man nicht gleichzeitig wachsen und nicht wachsen kann. Man darf gespannt sein, ob und wie wie das mit Spannung verfolgte Gremium aus diesem Dilemma herausfindet (und das im Wahlkampf, die Chancen stehen also nicht gut).

Zwei hat gewonnen – Vernunft hat gewonnen

Wer gestern abend im Münchner Kreisverwaltungsreferat war, konnte live miterleben, wie sich – meines Wissens zum ersten Mal in Europa – hinsichtlich des Flugverkehrs Vernunft gegen Machbarkeitswahn durchsetzen konnte: Die Flughafengegner verhinderten den Ausbau des Münchner Fanz-Josef-Strauß-Flughafens durch eine dritte Startbahn und damit einen weiteren Anstieg der Start- und Landezahlen auf dem Airport durch einen klaren Sieg in einem Bürgerentscheid.
Bemerkenswert sind dabei mehrer Dinge:
1. Geld bewegt nix. Der Etat der Befürworter war vielfach so hoch wie der der Gegner, und trotzdem konnten sie einen klaren Sieg davontragen. Sie setzten sich nämlich selbst ein und hatten Argumente statt teurer Agenturen.
2. Stadt und Umland zogen an einem Strick. Anders als in Frankfurt, wo sich im Stadtgebiet erst heute, nachdem die Nachtruhe bisher ruhiger Wohniertel gestört wird, Widerstand regte, die Umlandgemeinden aber bei der Auseinandersetzung um den Startbahnbau weitgehend im Regen standen, erkannten dei Münchner von Anfang an – und natürlich auch wegen der Kommunikationsaktivitäten des Bündnisses „Aufgemuckt“, dass dieses Thema auch für sie relevant ist. Die Schweiger von heute können nämlich gut die Fluglärmopfer von morgen sein.
3. In München entschieden sich nicht nur „arme“ Stadtvierteil gegen den Verkehrswahnsinn, sondern auch „reiche“ wie Bogenhausen oder Harlaching. Das bedeutet, dass auch gut Etablierte zu verstehen beginnen, das dem Wachstum Grenzen gesetzt sind und gesetzt werden müssen.

Alles in allem stimmt das Ergebnis optimistisch, dass in Zukunft neben wirtschaftlichen auch die menschlichen und ökologischen Gesichtspunkte von Entscheidungen stärker ins Gewicht fallen werden, wenn so etwas zu entscheiden ist.