Das wichtigste Konzept der Ökonomie heißt derzeit Wachstum. Ob nun qualitativ, nachhaltig oder grün – Wachstum muss sein, und zwar möglichst weltweit, nicht nur in den noch weniger wirtschaftlich entwickelten Regionen dieser Erde. Warum dieses Konzept an Grenzen stößt, welche dies sind und warum sie von unserem politischen Willen mehr oder weniger unabhängig existieren, davon handelt „Sklaven des Wachstums“ von Reiner Klingholz, dem Leiter des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung.
Klingholz` Argumentation ist so klar wie schwer widerlegbar: Die Menschheit wächst zwar noch, wird aber damit schon bald damit aufhören und muss dies auch, weil die Tragfähigkeitsgrenzen des Globus durch den Schadstoffausstoß und Ressourcenverbrauch erreicht werden. Sonst verschlechtern sich die ökologischen Lebensbedingungen der Menschheit bis hin zu unlebbaren Zuständen.
Das Dilemma sieht Klingholz auf der individuellen Ebene darin, dass Wachstumsverzicht von Einzelnen nicht anerkannt wird und strukturell sehr schwierig ist. In der politischen Dimension sieht er das Problem darin, dass auf dem Globus sehr unterschiedlich entwickelte Länder und Ökonomien nebeneinander existieren: von der fast noch Subsistenzwirtschaft bis hin zu den voll entwickelten Industriegesellschaften. Daraus ergibt sich zwangsläufig eine unterschiedliche Einstellung zum Wachstum: Arme Ökonomien müssen seiner Meinung nach vorläufig wachsen, obwohl dies die Ökosphäre belastet, um so wohlhabend zu werden, dass sie sich den demografischen Übergang leisten können. Reiche Nationen, die bereits heute weniger Nachkommen erzeugen als zur Reproduktion nötig, müssen sich dagegen schon jetzt auf schrumpfende Ökonomien einstellen – einfach deshalb, weil weniger Menschen weniger produzieren und verbrauchen. Das Erstaunliche daran ist, dass, wenn dieser Übergang einmal stattgefunden hat, es nach bisherigen Erkenntnissen keine Rückkehr zu hohen Geburtenraten mehr gibt, auch wenn ein Land anschließend wieder ärmer wird.
Dass in reicheren Ländern die Bevölkerungen anfangen zu schrumpfen, ist an sich eine gute Nachricht, heißt es doch nichts anderes, als dass das uferlose Anwachsen der Menschheit in mittelfristigen Zeiträumen endet – und mit ihm das Wirtschaftswachstum, denn um Milliarden geringere Bevölkerungen verbrauchen und konsumieren zwangsweise weniger, was letztlich der uns tragenden Ökosphäre die dringend nötige Entspannung bringen wird.
Doch bis dahin rast, so Klingholz, die Menschheit auf ein Nadelöhr zu, das in den reichen und armen Ländern unterschiedlich aussieht: In den reichen Ländern besteht das Problem darin, dass sie die bald schon vorhandenen Rentner-Massen ausreichend versorgt werden müssen, obwohl die Wirtschaft längst nicht mehr mit den Raten der Nachkriegszeit wächst und wohl auch nie mehr wachsen wird. Gebe es in einem Land einen Kapitalstock wie etwa in der Schweiz oder Norwegen, sei das, so Klingholz, ein zu bewältigendes Problem. Wo dieser fehle oder noch fehle, etwa in China, werde es schwierig.
Arme Ökonomien aber müssen wachsen, obwohl ihre ökologische Basis das manchmal kaum noch zulässt. Ob und in welchem Umfang das gelinge, sei, so Klingholz, zweifelhaft. Gelinge es ihnen nur mangelhaft, einen gesellschaftlichen Kapitalstock aufzubauen, weil zum Beispiel wie in Ägypten oder anderen Ökonomien keine Arbeit verfügbar ist, wenn die Vermehrungsraten zu sinken beginnen, müssen die Gesellschaft sich zunächst mit Unmassen arbeits- und zielloser junger Menschen ohne Hoffnung herumschlagen und anschließend mit Massen verarmter alter Menschen.
Wie es gelingen kann, Ökonomie, Ökologie und Demografie auf für die Menschheit gedeihliche Weise miteinander zu vereinbaren (Klingholz spricht hier von einem Trilemma), weiß auch der Autor nicht. Er betont an mehreren Stellen, dass auf der Suche nach neuen Wegen wahrscheinlich Konflikte, Krisen und Notlagen, immer häufiger ökologischen Ursprungs, als Auslöser eine wichtige Rolle spielen werden.
Immerhin öffnet er aber den Lesern und Leserinnen die Augen für die auf Dauer unvermeidbaren Abschied vom Wachstumsparadigma jedweder Färbung und die damit notwendigen Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Sie können sich seiner Meinung nach mangels bekannter Vorbilder nur als schrittweiser, auf vielen Ebenen und in vielen Formen stattfindender iterativer Suchprozess gestalten. Trotzdem ist Klingholz keineswegs hoffnungslos: Lebewesen in der Natur gelinge es schließlich flächendeckend, nach dem Wachstum lange in einem Reifestadium zu überleben, bevor sie irgendwann vergehen, schreibt er – warum solle dies bei der Menschheit anders sein?
Eine lesenswerte, gut geschriebene und weitgehend allgemein verständliche Lektüre für alle, die vor den Tabuthemen Demografie und Wachstumskritik nicht zurückschrecken.

Bibliographie: Reiner Klingholz: Sklaven des Wachstums. Die Geschichte einer Befreiung. Campus-Verlag 2014. 348 Seiten, gebunden, inklusive E-Book zum Herunterladen. ISBN 978-3-593-39798-6, 24,99 Euro.

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