Die Jungen haben einen Plan

Viele junge Menschen fühlen sich abgehängt und dank fehlenden Wahlrechts nicht ernst genommen, insbesondere angesichts der Klimakrise, aber auch sozialer Spaltung, globaler Ungerechtigkeit und weiterer Themen.

Nun haben sich acht Mitglieder des Jugendrates der Generationenstiftung hingesetzt und ihre Vorstellungen aufgeschrieben. „Ihr habt keinen Plan – Drum machen wir einen. Zehn Bedingungen für die Rettung unserer Zukunft“, erschienen im renommierten Blessing-Verlag, ist eine rund 250 Seiten lange Streitschrift, in der die Jungen den älteren Generationen – man sollte vielleicht definieren: den Fourty-Somethings und darüber – ihre Abrechnung präsentieren: Klimawandel? Verpennt. Unbegrenztes Geldverdienen und Spekulieren statt Menschlichkeit und sozialer Gerechtigkeit. Mauern und Aufrüstung statt grenzenloser Frieden. Digitalisierung ohne Peil. Bildung ohne Geld und Demokratie unter Ausschluß der Jugend, die alle genannten Fehlentwicklungen ausbaden darf.

Wortgewaltig werden in den zehn Kapiteln zunächst die bisherigen Versäumnisse anhand valider Quellen dargestellt, dann folgen jeweils die Abhilfen, die sich die Autor*Innengruppe, natürlich nach ausführlichen Diskursen mit der Fachöffentlichkeit, überlegt hat. Das liest sich streckenweise wie die zusammengefassten Empfehlungen aller Räte, Gremien, Kongresse etc., die in den vergangenen Jahren zur Zukunft von Gesellschaft und Planet einberufen wurden. Und deren wissenschaftlich fundierte Ratschläge genauso regelmäßig, wie entsprechende Veranstaltungen oder Vorhaben stattfanden, missachtet wurden. Nun also reicht es der Jugend, oder jedenfalls einem Teil, und sie formuliert das Gegenkonzept.

Es lohnt sich auf jeden Fall, diese Vorwurfsliste und die Gegenvorschläge zu lesen. Was aber ermüdet, ist der Rundumschlag, der wirklich kein Thema auslässt. Das Buch hätte wahrscheinlich mehr Wirkung, wenn es sich auf wenige Themen beschränkte. Zumal vieles, etwa der Weltfrieden, eben nicht in deutscher Hand liegt. Selbst wenn Deutschland (wünschenswerterweise) seine Waffenexporte in Krisengebiete oder auch die gesamte Waffenproduktion sofort einstellen würde, würde deshalb wohl kaum der Frieden auf Erden ausbrechen.

Europa vorwiegend negativ?

Befremdlich ist der nahezu vollständig negative Blick, den die Autor*innen anscheinend auf Europa haben. 70 Jahre Frieden in Kerneuropa scheinen keine erwähnenswerte Errungenschaft zu sein, obwohl ohne sie wohl nicht möglich wäre, sich überhaupt so intensive Gedanken um die fernere Zukunft zu machen. Anscheinend fehlen inzwischen die Augenzeugen des Kriegsgeschehens und ihre Berichte.

Natürlich ist vieles, was Europa heute an seinen Grenzen und im Ausland tut, höchst fragwürdig. Wer jedoch das Land verlässt und die Schlagbäume und Kontrollen erlebt, die sich zwischen vielen Ländern anderswo erheben, sollte die Einmaligkeit des grenzenlosen Kontinentalwesteuropa schätzen und ihn natürlich auf andere Regionen auszudehnen versuchen.

Leider ist es auch ein Irrtum davon auszugehen, dass unsere Vorstellungen von Menschenrechten überall in der Welt auch nur unhinterfragt anerkannt würden, und dies gilt, genauso bedauerlicherweise, nicht nur für korrupte Regierungseliten, sondern für breite Bevölkerungskreise. So muss man wahrscheinlich davon ausgehen, dass der Umgang mit den Uiguren großen Teilen der chinesischen Bevölkerung und auch der chinesischen Jugend schnurzegal ist.

Die europäische Jugend sollte dafür streiten, dass den hehren Versprechungen Europas Taten folgen. Fridays for Future und der daraus entstandene aktuelle Versuch der Politik, Europa zur Klimaneutralität zu verpflichten, aber auch das nun immerhin etwas verschärfte Klimapaket der Bundesregierung sind Beispiele dafür, wie stark gezielter Protest wirken kann.

Denn es lohnt sich, für Europa zu kämpfen. Immerhin verdanken wir den europäischen Institutionen große Fortschritte bei der Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts, bei der Gleichstellung der Homosexuellen, die Urteil für Urteil vor der europäischen Gerichtsbarkeit erstritten wurde, und inzwischen auch bei der Gesetzgebung in Richtung ökologischer Nachhaltigkeit. Europa ist Deutschland hier in vielem voraus, siehe etwa auch die Düngemittelrichtlinie.

Unbestritten ist aber das behebungswürdige Demokratiedefizit der europäischen Politik, über das sich auch die Autor*Innen beklagen.

Dem Digitalwahn erlegen

Seltsam verwaschen kommt das Kapitel zur Digitalisierung daher. Grenzenlose und umfassende Digitalisierung ist inzwischen in den Rang einer weltgeschichtlichen Unausweichlichkeit erhoben wie, nun ja, vielleicht höchstens noch der Kampf gegen den Klimawandel. Die PR-Abteilungen der IT-Unternehmen haben also ganze Arbeit geleistet.

Kritisch sehen die Autor*innen des Buches vor allem die Daten-Sammelei und die oligopolistische Struktur der Plattformökonomie. Wenig beleuchtet wird unter anderem das Risiko, das wir eingehen, indem wir die gesamte Zivilisation lückenlos von einer Technologie abhängig machen, deren Tiefenwirkungen kaum verstanden wurde und deren dringender Regulierungsbedarf erst langsam sichtbar wird. Genau wie die darin verborgenen Risiken für Freiheit und Demokratie, siehe China.

Zudem ist die Existenz digitaler Technologien höchst fragil. Digitaltechnik kann durch einen einzigen großen elektromagnetischen Puls, einen Krieg in einer der Regionen, wo die Hardware produziert wird oder digitale Schädlinge im Nu komplett zerstört werden.

Der Digitalwahn verkleistert vielen wohl auch komplett die Sicht darauf, dass Online-Streamen, Liken, Gaming und wer weiß was noch alles zwar vielen die Tasche füllt, auch Spaß macht und die Kommunikation erleichtert, aber gleichzeitig einen gigantischen und immer weiter wachsenden Fußabdruck erzeugt – energetisch sowie materiell, denn die meisten Smartphones werden nach zwei Jahren aussortiert, und selbst zur Sekundärnutzung fit gemachte Hardware überschreitet selten die Nutzungsdauer von zehn Jahren. Danach wird aus High-Tech Müll.

Software wird in keiner Weise energieoptimiert entwickelt, Daten (wie das berühmte Katzenvideo) möglichst ständig über die Cloud transportiert, selbst wenn es nur darum geht, sie vom Smartphone auf den Rechner auf demselben Schreibtisch zu verlagern. Wen stört`s, wenn dafür zig Rechenzentren und Übertragungsleitungen arbeiten müssen? Die Energie wird ja den Einzelnen nur äußerst unvollständig in Rechnung gestellt.

Die in der IT enthaltenen Materialien sind zur Zeit nur sehr beschränkt rezyklierbar. Viele der in sehr kleinen, aber unentbehrlichen Mengen hinzugefügte Stoffe werden es vielleicht niemals sein, weshalb man jetzt in Tiefsee, auf Kometen oder dem Mond danach sucht. Vielleicht sollte man sich sicherheitshalber als junger Mensch das (bei den geschmähten über 60jährigen durchaus noch vorhandene) Bewusstsein bewahren, dass ein qualitätsvolles Weiterleben durchaus auch ohne oder mit erheblich weniger IT möglich wäre, die dafür sehr viel mehr kosten und länger halten müsste.

Fazit

Die jungen Rebellen aus der Generationenstiftung haben sich viel Mühe gegeben. Viele der Lösungsvorschläge sind bekannt und kaum bestritten, man müsste sie nur umsetzen wollen. An letzterem hapert es bislang in der Gesellschaft. Inwieweit die junge Generation hier anders ist, muss sich zeigen, wenn sie das erwerbsfähige Alter erreicht und der Statuswettbewerb um Geld und Güter mit Gleichaltrigen einsetzt. Es wäre zu hoffen, dass der Idealismus, von dem das Buch getragen ist, weiter reicht als bis zur ersten Gehaltserhöhung nach Studium oder Ausbildung.

Bibliographie: Der Jugendrat der Generationen Stiftung: Ihr habt keinen Plan. Darum machen wir einen. 10 Bedingungen für die Rettung unserer Zukunft. Broschiert, 272 Seiten incl. ausführlichem Quellenverzeichnis. Blessing-Verlag 2019, 12 Euro. ISBN 973-3-89667-656-6

Autonomie – was ist das, wofür ist sie gut und was hat das alles mit Social Media zu tun?

Oft ist von Autonomie die Rede, aber was ist damit eigentlich gemeint? Und was bedeutet diese Fähigkeit in der digitalen Gesellschaft? Bieten uns Facebook, Google und Co. mehr Autonomie oder weniger? Mit Begrifflichkeit, Rolle und Entwicklung der Autonomie beschäftigt sich auf sehr grundlegende Weise das neue Buch des Soziologen Harald Welzer und des Philosophen Harald Pauen. Sie definieren – anhand mehrerer Beispiele von Personen aus sehr unterschiedlichen Bereichen – was Autonomie überhaupt ist. Nämlich die Fähigkeit, auch unter (Konformitäts)druck eigenständig, dh., unter Umständen abweichend von der Mehrheitsmeinung und auch unter Risiko, der eigenen Überzeugung entsprechend zu handeln.
Pauen und Welzer machen Schluss mit der Vorstellung, Autonomie sei vor allem eine Frage der Persönlichkeit. Anhand der gelegentlich sehr verstörenden Ergebnisse moderner sozialpsychologischer Forschung wie dem Milgram- und ähnlichen Experimenten belegen sie, dass Autonomie einzelner Personen oder Gruppen vor allem das Produkt förderlicher sozialer Umstände ist, keine Charakterfrage. Außerdem erörtern sie nicht nur die möglichen Vorteile autonomer Entscheidungen, sondern auch ihre möglichen Nachteile – schließlich kann schlimmstenfalls, wer sich dem Konsens entzieht, auch einmal schrecklich daneben liegen. Demokratieförderlich, so die Autoren, sei eine politische und gesellschaftliche Struktur, die Diskursprozesse fördere und dem einzelnen ausreichende Freiräume eröffne, um unsanktioniert sich eine eigenständige Meinung zu bilden und sich ihr entsprechend zu verhalten.
Hier kommen die sozialen Medien ins Spiel. Diese sehen die Autoren gerade in Hinblick auf die Autonomiefähigkeit der Menschen, sehr kritisch. Sie verengten, so argumentieren die beiden Autoren, durch den maschinell hergestellten unreflektierten Konsensprozess das Möglichkeitsspektrum (Suchalgorithmen finden idR das, was dem ähnelt, was man vorher schon gesucht hat, bestätigen also das Individuum in dessen vorgefertigten Meinungen). Die überall geforderte und häufig auf Plattformen wie Facebook auch bis zur Unterhosenmarke gepflegte Transparenz beseitige ehemals vorhandene geschützte, weil eben nicht allen bekannte Diskursräume, in denen sich abweichende Meinungen überhaupt erst bilden könnten. Soziale Medien wie Twitter taugten zwar dazu, kurzfristige Hypes zu erzeugen, nicht jedoch dazu, neue, langfristig tragfähige Strukturen im Sozialen aufzubauen. Dies zeige der sogenannte arabische Frühling, der zwar über soziale Medien forciert wurde, dann allerdings nicht in eine tragfähige neue soziale Ordnung mündete, weil, so die Autoren, dazu eben mehr nötig sei als das Verbreiten von 140-Zeichen-Meldungen, nämlich die gemeinsame, langfristige und durch enge persönliche Beziehungen unterfütterte Arbeit. Das massenweise Abschöpfen von Nutzerdaten aus „kostenlosen“ sozialen Netzwerken und Suchmaschinen sowie deren exzessive Auswertung und Nutzung zum Zweck von Marketing, Vertrieb und Produktdesign trage ebenfalls zur Verengung persönlicher Spielräume bei. Beispiele kommen heute etwa aus dem Versicherungs- oder Kreditwesen, wo Datenspuren schon heute ausreichen, um die Konditionen gravierend zu beeinflussen, zu denen ein Individuum abschließen kann.
Dass Pauen und Welzer die schöne neue Welt der kostenlosen Internet-Dienste als nicht förderlich fürs gesellschaftliche Miteinander erachten, macht besonders das letzte Kapitel deutlich. Es umfasst zehn Ratschläge zur Bewahrung der persönlichen Autonomie , aus denen hier einige Sätze zitiert werden sollen: „Verkaufen Sie niemals persönliche Souveränität für monetäre Vorteile. Üben Sie digitale Askese, wo immer es geht. Soziale Netzwerke… sind Produktionsstätten von informationeller Macht über Sie. Glauben Sie niemals, dass der annoncierte Vorteil einer technischen Innovation für Sie von Vorteil ist.“
Technoskeptiker findet hier wirksame Argumente gegen das allgegenwärtige Gerede über die unvermeidlichen und unabwendbaren Segnungen des Big Data-, Industrie 4.0- und Mobilzeitalters. Und wer optimistischer hinsichtlich des gesellschaftlichen Nutzens digitaler Technologien ist (zum Beispiel optimistisch genug, um irgendwie auf die Rezension dieses Buches auf meinem Blog gestoßen zu sein), kann testen, ob und welche der eigenen Überzeugungen auch einem kräftigen Gegen-den-Strich-Bürsten standhalten.
Bibliographie: Michael Pauen, Harald Welzer: Autonomie. Eine Verteidigung. S. Fischer Verlag, Frankfurt, 2015. Gebunden, 327 Seiten, Lesebändchen, Literatur- und Stichwortverzeichnis. ISBN978-3-10-002250-9, 19,99 Euro

Wer rettet wen? Der FIlm zur Griechenland-Wahl

Wer gern einmal verstehen möchte, warum sich die Griechen bei der aktuellen Wahl für die Linke unter Alexis Tsipras entschieden haben, dem sei ein Film empfohlen, der im Februar in die Kinos kommt. Infos finden sich unter dem folgenden Link zum Dokumentarfilm „Wer rettet wen?“ . Er erklärt anhand von Statements Betroffener, wie das Leben in Griechenland und anderen Ländern abläuft, die in die Krise geraten sind und nun Geld zurückzahlen müssen. Als Zuschauer wird man Zeuge von Wohnungsräumungen (z.B. in Spanien), darf einem der kostenlos arbeitenden griechischen Ärzte (ein Drittel der Griechen kann sich keine Krankenversicherung mehr leisten) bei der Arbeit zusehen und so weiter und so fort. Aber es kommen auch Menschen zu Wort, die die Krise aus der Perspektive derer betrachten, die die jetzigen Regeln ersonnen haben oder wohlhabend genug sind, um auch jetzt einigermaßen gut zu leben. Außerdem wird erklärt, wie die Schuldenberge zustande kamen – nämlich durch die Verschiebung von Bankschulden auf Staatskassen, um die Banken zu schonen. Eine sehenswerte Einführung in die Folgen ungehemmter Profitsucht und die Konsequenzen eines unzureichend regulierten Finanzwesens, indem übel wirtschaftende Akteure ab einer gewissen Größe nicht schlicht auf Kosten ihrer Financiers pleite gehen können, sondern auf Kosten derer, die nichts haben, gerettet werden.

Warum Amerika immer noch nicht an den Klimawandel glaubt – Rezension

Wer sich schon länger darüber wundert, warum es immer so lange dauert, bis sich auch in den USA unbequeme wissenschaftliche Wahrheiten durchsetzen oder gar zu politischem Handeln führen, sollte einmal das aus dem Amerikanischen übersetzte Buch von Naomi Oreskes und Erik M. Conway („Die Machiavellis der Wissenschaft“) lesen. In den USA wurde die Arbeit unter dem Titel „Merchants of Doubt“ zum Bestseller.
Die Autoren haben es in einer fünfjährigen Puzzle-Detailarbeit unternommen, das verheerende Lobbying von Regulierung bedrohter Industrien, unterstützt durch einen überschaubaren Klüngel gut vernetzter, im kalten krieg aktiver Wissenschaftler, meist Physiker, nachzuzeichnen. Gemeinsam mit konservativen Politikern, die sich als Verteidiger der Freiheit fühlten, boykottierte die Industrie, kräftig unterstützt von diesen Wissenschafts-Lobbyisten ziemlich jede gesundheits- und umweltpolitische Regulierungsinitiative in den USA. Gemeinsam verzögerten sie dringend notwendiges politisches Handeln oft jahrzehntelang, indem sie anerkanntes Wissen der Scientific Community verleugneten, verfälschten oder schlicht ignorierten, und dies unterstützt von vielen Millionen Fördergeldern. Das dürfte mal den Menschen (aktives und passives Rauchen), mal der Natur (saurer Regen, Klimawandel) und manchmal beidem (Ozonloch) erhelblichen Schaden zugefügt haben.
Fragt man sich warum – nun, auch diese Antwort liefern die Autoren glänzend begründet: Immer ging es darum, eine vermeintlich nicht begrenzbare Freiheit der Wirtschaft aufrecht zu erhalten – und sei es auf Kosten der Wahrheit. Auch für Journalisten hat das Buch eine Message im Gepäck: Falsche Ausgewogenheit bewirkt das Gegenteil von dem, was Journalisten eigentlich anstreben sollten, nämlich die Suche nach der Wahrheit zu unterstützen. Gibt es einen wissenschaftlichen Konsens, der durch sorgfältige wechselseitige Kontrollen der Forschungsergebnisse hergestellt wurde (Peer Review), muss dieser bis zum Beweis des Gegenteils als der Stand des Wissens betrachtet werden – auch im Journalismus. Wissenschaftliche Mindermeinungen zu solchen Fragen sind, wenn man sie überhaupt groß zu Wort kommen lässt, deutlich als solche zu kennzeichnen. Das gilt zum Beispiel inzwischen auch für den menschengemachten Klimawandel, den heute fast die gesamte wissenschaftliche Community als gegeben annimmt. Schließlich darf sich auch niemand mehr mit der Behauptung brüsten, die Erde sei eine Scheibe.

Bibliographie: Naomi Oreskes, Erik M. Conway: Die machiavellis der Wissenschaft. Das Netzwerk des Leugnens. Gebunden, 364 Seiten, Wiley-VCH, Weinheim, ISBN 978-3-527-41211-2, 24,90 €.

Rezension: Aufruf zum Weniger-Werden

Während Aspekte wie Klimaveränderung, Knappheiten bei Wasser, bebaubarem Land und anderen Ressourcen ständig im Blickpunkt stehen, ist dies bei der Bevölkerungsentwicklung weit weniger der Fall. Nun beschäftigt sich Alan Weisman, der Autor des Weltbestsellers „Die Welt ohne uns“ mit diesem Thema.

Der Autor von „Countdown“, Alan Weisman, hat sich auf eine mehrjährige Reise rund um den Globus begeben, um vier Fragen zu beantworten. Sie befassen sich mit der Tragfähigkeit von Ökosystemen, den Mindestbedarf an ökologischen Systemdienstleistungen, die die Zivilisation benötigt, den möglichen Wegen, um die Beschränkung der Zahl der Menschen ohne gewaltsame Eingriffe zu erreichen, und eine Ökonomie ranken, die mit schrumpfenden Bewohnerzahlen zurechtkommt, weil sie selbst nicht mehr wächst.
Das ist für ein in Deutschland erhältliches Buch kein unkritisches Thema, denn spätestens seit die Nazis jede Beschäftigung mit bevölkerungspolitischen Fragen diskreditiert haben, ruft allein schon die Diskussion dieses Themas gerade bei linken Kreisen Stirnrunzeln hervor. Doch Weisman lässt an keiner Stelle Zweifel daran, dass das Konsumniveau der industrialisierten Nationen genauso problematisch ist wie der Zuwachs an Bevölkerung. Allerdings weist er darauf hin, dass auch Menschen in den ärmeren Ökonomien nach mehr streben und man ihnen das auch kaum streitig machen kann.
Ein Ansatz, der Ressourcen schützen will, ohne dass die Zahl der menschlichen Erdbewohner sinkt, scheint ihm zum Scheitern verurteilt. Das klingt zunächst fremd, denn verschiedene Akteure sind der Ansicht, die Probleme bei der Nahrungsversorgung ließen sich lösen, sobald nur die Nahrungsmittel gerecht verteilt würden. Weisman zeigt jedoch, dass das Nahrungsproblem nur eines von vielen ist und seine Lösung naturgemäß ebenfalls sehr viel einfacher wäre, wenn weniger Bäuche gefüllt werden müssten. Immerhin bewohnen heute dreimal mehr Menschen den Globus als noch in den Sechzigern, und der Anstieg setzt sich fort, wenn auch einige Wissenschaftler glauben, die selbstwirksame Dynamik aus mehr Bildung und Wohlstand in vielen sich entwickelnden Ökonomien werde rechtzeitig und von selbst zu einem Rückgang der Vermehrungsrate führen.
Weisman ist nach Israel, Japan, Iran, die Philippinen, China, Indien, Nepal, Uganda, die USA und weitere Länder gereist, in denen sich schon heute Auswirkungen von Klimawandel und rapidem Bevölkerungsanstieg zeigen oder wo Bevölkerungspolitik in Gestalt von Geburtenkontrolle oder ihrem Gegenteil stattfindet. Er hat mit Wissenschaftlern, Betroffenen und Politikern gesprochen, sich die Umstände vor Ort angesehen und unterschiedliche Ansätze von Bevölkerungspolitik kennengelernt. Die Berichte von seinen Reisen sind spannende Reportagen, allein deshalb ist das Buch lesenswert.
Wer nun befürchtet, Weisman gelange zu dem Schluss, dass martialische Bevölkerungsplanungsprogramme wie das chinesische oder die indischen Massen-Sterilisationsaktionen der einzige oder gar beste Weg wären, irrt. Weismans belegt statt dessen an vielen Beispielen : Meist wollen Menschen und insbesondere Frauen keine großen Kinderzahlen, am liebsten lassen sie es bei ein oder zwei Kindern bewenden. Was sie dafür brauchen, ist Bildung und Aufwertung ihres Geschlechts im Allgemeinen und einen bezahlbaren Zugang zu Verhütungsmitteln. Je schneller diese beiden Dinge global verfügbar gemacht werden, desto größer sei die Chance der Menschheit, innerhalb der nächsten hundert Jahre wieder in die Grenzen der dauerhaften Tragfähigkeit der Erde zurückzuschrumpfen, die die von Weismann befragten Experten bei 1,5 bis zwei Milliarden Menschen verorten. Den Versprechen der grünen Gentechnik steht Weisman nach seinen Besuchen in Indien skeptisch gegenüber. Die dort verwendeten Super-Arten, haben durch ihren ohen Waasserbedarf den Boden ausgetrocknet, was nun die Bauern, die Wasser, Dünger und Saatgut nicht mehr bezahlen oder beschaffen können, reihenweise in den Selbstmord treibt.
Weismans Berichte lassen keinen Zweifel daran, dass es immer noch genug Politiker und Ehemänner gibt, die von einer Beschränkung der Fruchtbarkeit aus Tradition oder anderen Erwägungen nichts wissen wollen, weshalb es besonders wichtig sei, die Frauen zu adressieren und ihnen Möglichkeiten zu geben, sich selbständig für eine Begrenzung der Kinderzahl zu entscheiden. Andererseits spricht Weisman auch von den Vorteilen, die neuartige Verhütungsmethoden für Männer mit sich brächten.
Was ein Schrumpfungsprozess bei den Bevölkerungszahlen, sollte er durch menschlichen Willen statt durch Naturkatastrophen, Hunger und Kriege zustande kommen, ökonomisch und sozial bedeutet und wie man ihn handhaben könnte, dafür hat Weisman keine schlüssigen Antworten, aber Ansätze. Die gibt es heute schon in Japan und China zu besichtigen: Pflegeroboter, Alten-Gemeinschaften, die Neubelebung fast ausgestorbener Dörfer durch Großstadt-Flüchtlinge, die bereit sind, einfacher und dafür in Ruhe zu leben etc.
Weisman ält sich mit eigenen Bewertungen zurück, sondern vertraut vielmehr in guter Journalisten-Manier den Aussagen seiner Gesprächspartner. Deren gelebte Praxis, Forschungsergebnisse, Projekte und Ideen machen Hoffnung, das heikle Thema nicht mehr länger zu tabuisieren und sich auch hierzulande von der Sicht zu verabschieden, schrumpfende Bevölkerungszahlen schafften unlösbare Probleme. Insofern ist Weismans Buch ein wichtiger Beitrag zu einer Diskussion, die hier und anderswo geführt werden muss, statt Frauen, die sich für nur ein Kind oder keine Kinder entscheiden, via Herdprämie zur Vermehrung wider besseres Wissen und Wollen in einer ohnehin heillos überfüllten Welt zu motivieren. Und es kommt ohne den Zynismus des Kurzbüchleins „Zehn Milliarden“ aus, das sich gleichzeitig mit demselben Thema beschäftigt und auf der letzten Seite als einzige Lösung anbietet, Kinder (natürlich nur die Söhne) im Gebrauch von Schusswaffen zu unterweisen.

Bibliographie: Alan Weisman, Countdown. Hat die Erde eine Zukunft? Gebunden, einige s/w Fotografien, 576 Seiten, Piper-Verlag, ISBN 3-492-05431-5, 24,99 Euro

Warum das Inflationsgerede vielleicht Unisnn ist (Rezension)

Im schönen Wonnemonat Mai kommt ein Büchlein eines ZEIT-Autors auf den Markt, das den Trompetern für auch vollkommen überteuerte Investments in Gold und Immobilien den Wind aus den Segeln nehmen will. Das Werk beschreibt auf überschaubaren 140 Seiten (ich habe sie auf Hin- und Rückweg zu einem Fest in der S-Bahn gelesen), warum die Idee, die Gelschwemme der Staatsbanken bedeute Inflation, möglicherweise Blödsinn ist und vielleicht viele Menschen viel Geld kosten wird, denjenigen nämnlich, die ihr Vermögen in Einzimmerwohnklos für 150000 Euro stecken, nur damit die Inflation, die vermeintlich kommt, ihnen das Geld nicht wegfrisst.
Gerade auf dem Hintergrund der letzten Zinssenkung der EZB auf 0,5 Prozent ist das ein sehr interessantes Thema, das hier gekonnt aufbereitet wird. Selbst wenn man sich nicht so wahnsinnig für Geldpolitik und Finanzwesen interessiert, ist dieses Buch eine gute Chance, den in vielen Medien verbreiteten Zeitgeist (Kauft Immobilien! Kauft Gold! Sonst frisst die Inflation Euer Geld!) einmal gegen den Strich zu bürsten und damit frischen Wind ins Oberstübchen zu pusten. Ob man der Meinung des Autors nun zustimmt oder nicht, ist dabei für die meisten, die eh nicht viel zu investieren haben, wahrscheinlich wohl eher unerheblich. Die würden übrigens, so der Autor, von einer Inflation eher weniger Schaden haben, weil sie nämlich nichts zu verlieren haben.

Bibliographie: Mark Schieritz, Die Inflationslüge. Wie uns die Angst ums Geld ruiniert und wer daran verdient. Aus der Reihe Knaur Klartext. München, Mai 2013. 140 Seiten, Broschur, 7 Euro. ISBN 978-3-426-78633-8