Gute Nachricht für Technologen

Ein neues Buch aus dem Dietz-Verlag, „Der Mensch-lima-Komplex“, ist geeignet, manche Hoffnungen und Illusionen hinsichtlich des Klimaschutzes, aber auch hinsichtlich unserer Vorstellungen von Wetter und Klima, zu erschüttern. Ich musste mich ein paar Mal schütteln, als ich es gelesen habe, aber die Gedanken darin haben einiges für sich, zumal der Autor kein Klimawandelleugner ist, im Gegenteil. Er war bis 2015 Leiter des Instituts für Küstenforschung am Helmholtz-Zentrum Geesthacht.

Von Storchs Buch liefert zunächst Grundlagenwissen zu den Begriffen Wetter und Klima, um dieses Wissen dann auf die Diskussion über den Klimawandel anzuwenden. Dabei bezieht er sich häufig auf die Forschungen von Nobelpreisträger Klaus Hasselmann.

Der hat seinen Nobelpreis bekommen, weil er eine Formel dafür entwickelt hat, wie man hinsichtlich Wetterkapriolen den menschengemachten Anteil vom statistischen Rauschen der Wetterbedingungen trennt – der Anfang der inzwischen zum Star aufgestiegenen Zurechnungsforschung.

Außerdem diskutiert von Storch, wie Wissen zustande kommt, insbesondere in der Klimaforschung. Und stellt fest, dass es dort durchaus nicht anerkannte Konzepte gibt. Zum Beispiel die sogenannten Kippunkte, die einem in jedem zweiten Artikel um die Ohren gehauen werden. Sie wurden nicht in die wissenschaftliche Konsensfassung aufgenommen, weil es für die Theorie, so anschaulich-schauerlich sie auch sein mag, keine ausreichenden Belege gibt.

Zur Erinnerung: Die Theorie von den Kipppunkten besagt, dass beim Überschreiten bestimmter Schwellen unwiderrufliche Änderungsdynamiken losgetreten werden, die zum Untergang oder jedenfalls zur schwersten Beeinträchtigung der menschlichen Zivilisation führen werden. Das kann man glauben, muss es aber nicht – jedenfalls heute nicht. Das bedeutet nicht, dass Klimaschutz unnötig wäre, aber es nimmt etwas Hysterie aus der Debatte.

Weiter macht von Storch klar, dass wir, um es mal ganz deutlich zu sagen, uns das 2-Grad-Ziel global betrachtet in die Haare schmieren können, weil buchstäblich niemand genug tut, und weil man dies von den sich entwickelnden Ökonomien im Süden auch gar nicht erwarten könne, jedenfalls nicht über irgendwelche Verzichtlogiken.

Daraus folgt, so Storch, dass alle, uns auch unsere Gesellschaft insgesamt sehr viel mehr für Klimafolgenvermeidung tun muss, statt ausschließlich auf Klimaschutz zu setzen. Das mache, so der Autor, Klimaschutz mitnichten unnötig, beides sei unverzichtbar, wie er immer wieder betont. Da man aber vorhersehbarerweise die gesetzten Klimaziele nicht erreichen werde, sei es schlicht fahrlässig, nicht mehr Vorbeugung zu betreiben. Nichts anderes, so Storch, trieben ja die kontinentaleuropäischen Nordseeanrainer schon seit Jahren.

Schließlich sagt von Storch, dass des Westens Beiträge zu Klimaschutz und Klimafolgenschutz beispielsweise darin bestehen könnten, Reis zu züchten, der weniger Methan ausgast (Methan aus Reisfeldern ist der wichtigste Emittent dieses höchst klimawirksamen Gases) oder andere technologische Errungenschaften zu entwickeln, die dann günstig in den Süden exportiert werden könnten, weil man sie tatsächlich attraktiv findet – wenn sie bei uns im Einsatz ihre Tauglichkeit bewiesen haben.

Sprich: Mehr Technologie und weniger Verzicht. Aber auch Verzicht darauf, den Aufbau und das Ausprobieren neuer Umwelttechnologien immer wieder durch Gerichtsklagen nach dem Motto „Not in my backyard“ zu verhindern. Das könnte auf Dauer etwas bringen. Die Einhaltung des 2-Grad-Zieles allerdings wohl kaum.

Bibliographie

Von Storch, Hans: Der Mensch-Klima-Komplex. Was wissen wir? Was können wir tun? Zwischen Dekarbonisierung, Innovation und Anpassung. Broschiert, zahlreiche s/w und farbige Abbildungen, 192 Seiten. Dietz-Verlag, Bonn, 2023. ISBN 978-3-8012-0659-8, 19,90 €

Ein Urteil und eine Zeitreise, und der Wahlkampf fängt auch an

Vor kurzem hat das Bundesverfassungsgericht ein richtungweisendes Urteil gefällt. Fazit, umgangssprachlich ausgedrückt: „Ihr alten Säcke, kommt endlich in die Klamotten, setzt Euch selbst klare Zwischenziele bei der Klimarettung (so die überhaupt noch möglich ist), bis das Ziel erreicht ist, statt die Hauptarbeit den Jungen aufzubürden.“ Wer es etwas genauer möchte, schaut bitte hinter dem Link oben nach.

Fridays for Future sei Dank! Nun muss also nachgeschärft werden, was dann auch prompt erfolgte, übrigens unter erstaunlichen Beifallsbekundungen außer von der AfD (das wundert keinen). Ob konsequent genug geändert wurde, fragt man sich.

Jedenfalls wird im Moment der Plan der Grünen, Kurzstreckenflüge mittelfristig abzuschaffen, sofort genutzt, um eine angebliche Kontroverse zwischen der Kanzlerkandidatin und Grünen-Vorstandsfrau Annalena Baerbock und Robert Habeck, ebenfalls Parteivorstand, herbeizureden. Wer sehen will, wie tiefgreifend die Unterschiede zwischen ihnen wirklich sind, kann ja mal diese beiden Quellen betrachten: Einmal aus der Tagesschau zu den Baerbock-Plänen und einmal Habeck im ZDF.

Offen gesagt, ich sehe da keine so gravierenden Divergenzen, denn Habeck äußert sich gar nicht zu den Methoden, mit denen Kurzstreckenflüge abgeschafft werden sollen und hat denselben Zeithorizont wie Baerbock. Vielmehr fügt er nur das magische Wörtchen „Freiheit“ als Wertedimension hinzu (wovon? Wozu? Für wen?). Baerbock widmet sich dagegen dem Wie ohne Wertaussage.

Wahrscheinlich haben sie die internen Rollen so verteilt: Baerbock die hemdsärmelige Macherin, Habeck der Denker mit philosophischem Weitblick. Wenn das mal gut geht. Meine Wette: Wir werden erleben, wie nahezu jede Aussage der beiden jetzt so ausgelegt wird, als habe der eine hü und die andere hott geschrien, und das geht natürlich nicht in einer Bundesregierung! Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als dass Grüne eine Regierung führen, scheint bei vielen Berichterstattern die Devise zu sein. Wir haben ja Wahlkampf.

Mein Rat: Das Führungspersonal der Grünen möge sich zu kritischen Problemen eine eiserne, einheitliche Sprachregelung verpassen, so schnell es geht, und die dann auch durchhalten, selbst wenn es innerlich manchmal knirscht im Gebälk. Sonst ist die einmalige Chance, dass hierzulande wirklich einmal was Neues passiert wahrscheinlich ausgestanden (nicht dass ich die Grünen für übermäßig revolutionär hielte, aber immerhin).

Tatsächlich fürchten sich schon viele vor dem, was sie jahrzehntelang herbeigesehnt haben und was nun endlich kommen könnte. Ob das wirklich schlimm wird, liegt aber an der Ausgestaltung. Denn bei allem sehr sinnvollen Klimaschutz muss man sich natürlich klar machen, dass 80jährige Rentner mit kleiner Rente und ungedämmtem Eigenheim aus den 50ern oder 60ern, und die gibt es gerade auf dem Land genug, wohl kaum noch eine neue Heizung einbauen oder die Wände dämmen werden (und oft finanziell auch gar nicht können).

Dasselbe gilt für die heute schon zu Recht stöhnenden Mieter in den Großstädten, will man nicht einen massiven Bewohnerwechsel forcieren. Denn der Anteil der Wohnkosten wächst – und dem Budget ist es egal, ob es nun wegen Mietsteigerungen, höherer Kohlendioxidpreise oder der dauerhaften (!?) Mitfinanizerung einer Sanierungsmaßnahme, auch wenn sie längst abbezahlt ist, überschritten wird. Hier muss tatsächlich ein Ausgleich her, dessen Gestaltung über den politischen Erfolg der Klimaschutzmaßnahmen entscheiden wird.

Viel Zeit wird jedenfalls fürs Thema Klimaschutz nicht mehr bleiben, wie ein wieder einmal leider recht düsteres Buch belegt. Diesmal handelt es sich um „Die Große Flut. Was auf uns zukommt, wenn das Eis schmilzt“. Der Autor ist Geologe und Spezialist für Eis (nicht das aus der Eisdiele). Er nimmt die Leserschaft in jedem Kapitel zunächst mit auf eine Reise an einen Ort, wo man ökologische und soziale Folgen des Klimawandels szenarioartig miterleben darf. Dann folgt die geologische Erklärung dafür, warum das im ersten Teil jedes Kapitels beschriebene Szenario tatsächlich wahr werden könnte.

Ward argumentiert mit den durch Bohrkerne nachweisbaren Kohlendioxidgehalten der Luft in der erdgeschichtlichen Vergangenheit und den durch Fossilfunde oder Schichtungen belegbaren klimatischen Bedingungen zu den entsprechenden Zeiten. Gleichzeitig erzählt er, was mit den Lebewesen unter bestimmten Bedingungen passiert. Wird es zu warm, sterben viele Arten aus. Die Meere verlieren massiv an Sauerstoffgehalt und verwandeln sich zu großen Teilen in öde Kloaken, in denen nur noch Anaerobier ein gutes Leben haben. Mit als erstes sterben die Korallen (sie tun es heute schon).

Am meisten erschreckt haben mich in dem Buch zwei Dinge: Erstens, dass Ward schreibt, der Weltklimarat sei in seinen Prognosen grundsätzlich zu vorsichtig, damit niemand den Fachleuten Katastrophismus vorwerfen könne. Das heißt, eigentlich ist alles schlimmer, als es heute in den Berichten steht.

Und zweitens eine Karte Norddeutschlands und der Niederlande, die sich an eine Szenarien-Beschreibung Hamburgs im Jahr 2095 (bei 780 ppm Kohlendioxid, abgeleitet aus den heutigen Ausstoßraten samt deren realistischer Entwicklung) anschließt. Diese Karte zeigt: Das Land rechts und links der Elbe nördlich von Hamburg wäre 2095 komplett überflutet – einschließlich der gesamten nordfriesischen Küste, der Wesermarsch, der Städte Bremen und Oldenburg.

Hamburg gibt es auf der Karte noch, aber als zwei Städte, getrennt durch eine nicht mehr überquerbare Elbe, die eher ein Arm der Nordsee denn ein Fluss ist. Das „Hoch im Norden“ ist im Szenario zu einem immer wieder überschwemmten Drogen- und Schmugglernest verkommen, in dem zwar die Verwaltung teils noch funktioniert, die technischen Infrastrukturen (Strom, U-Bahn, Wasser, Gas, Telekom) jedoch wegen der immer wieder stattfindenden Wassereinbrüche langsam aber sicher zugrunde gehen. Wo die Bremer und Oldenburger dann wohnen, wird nicht besprochen. In Bremen und Oldenburg aber ganz sicher nicht.

2095, das sind jetzt noch 73 Jahre. Legt man die Lebensjahre-Statistik zugrunde, werden diese Zeit die meisten Kinder, die heute zehn Jahre oder jünger sind, noch erleben. Denn in Deutschland werden Frauen im Schnitt etwa 83, Männer etwa 78 Jahre alt. Kurzum: Es gibt wirklich keine Minute mehr zu verlieren, wenn solche Szenarien verhindert werden sollen. Denn sie entspringen nicht einer übersteigerten Phantasie wie die Echsensaga der Q-Anon-Anhänger, sondern solider wissenschaftlicher Extrapolation.

Aber das wird sicher die notorisch Verschwörungsgläubigen nicht weiter beunruhigen. Reiche Gefolgschaft ist ihnen und ihren Thesen wahrscheinlich sicher, wie der verlinkte Artikel prognostiziert.

Zum Trost: Am Ende folgt in dem Buch auch ein Kapitel über denk- und durchführbare Gegenmaßnahmen, nach Grad des Risikos geordnet. Zeit für Diskussionen, ob Eingriffe in das Recht auf Kurzstreckenflüge, Kurzzeiturlaub in der Karibik oder Rasen auf der Autobahn eine unzumutbare Lebensstiländerung darstellen, wird wahrscheinlich eher nicht bleiben. Für die meisten Menschen vor allem außerhalb der industrialisierten Welt sind derartige „Grundfreiheiten“ ohnehin extrem weit von ihrer täglichen Realität entfernt.

Peter D. Ward: Die große Flut. Was auf und zukommt, wenn das Eis schmilzt. Oekom-Verlag München 2021. 250 Seiten, broschiert, ISBN 9-783-382490. 22 Euro.

Ein Hoffnungsschimmer für eine andere Wirtschaft? Entwicklungen Anfang Januar

Frohes Neues Jahr, liebe Besucher des Andere-Wirtschaft-Blogs!

Ob das Jahr auch für die Nachhaltigkeit im ökologischen Sinne froh wird, das muss sich erst noch zeigen. Vorläufig gibt es genug Meldungen, die den kritischen Zustand des Klimasystems belegen, nicht nur aus Australien (dessen Premier Morrison hoffentlich nächstes Mal abgewählt wird) Beispielsweise meldete die Tagesschau am 13.1.: „Ozeane werden immer wärmer“. Diese Meldung als solches ist schlicht unbestreitbar, denn sie gibt nur Messungen wieder.

Ein überraschend großer Teil der darunter befindlichen Kommentare zeigt das Verdrängungsvermögen der sogenannten Klimaskeptiker. Zudem scheinen sie sich mangels anderer sinnvoller Beschäftigungen mit Vorliebe auf den Kommentarseiten seriöser Nachrichtenseiten tummeln, um dort die inzwischen doch etwas nachdenklichere Mehrheit der Bevölkerung von den richtigen Schlüssen (endlich ernsthafter Klimaschutz!) abzuhalten. Jede*R mit der nötigen Geduld für einen gehörigen Schuss Wahnsinn und Harakiri-Mentalität möge sich zur Qualität dieser Äußerrungen selbst ein Bild machen. Die Kommentierungsfunktion wurde um 11 Uhr 45 geschlossen. Anmerkung: Müsste jeder wie im Tageszeitungs-Leser*Innenbrief einen Klarnamen angeben, würde den Leser*Innen wahrscheinlich einiges an Blödheit und Desinformation erspart.

Siemens will lieber Kohle als keine Kohle

An die drei Affen (nichts sehen, nichts hören,…) gemahnt dieser Tage das ehemalige deutsche Vorzeigeunternehmen Siemens, insbesondere der designierte Nachfolger des derzeitigen CEO, Busch. Er ist Technikvorstand und steht dem Nachhaltigkeitsausschuss (!!) vor, der den fatalen Beschluss fasste. Muss man sich entscheiden, ob man lieber bei einem Kohleförderer weiter einen Stein im Brett haben möchte oder bei den weltweit immer mehr Institutionen und Menschen, die einsehen, dass am schleunigen und konsequenten Klimaschutz kein Weg vorbeigeht, entscheidet sich das Management, na, wofür bloß? Na klar, richtig geraten: Für den Kohleförderer, der in diesem Fall Adani Carmichael heißt! Und im brandgebeutelten Australien eine gigantische Mine bauen will. Hier zeigt sich wieder mal, dass Klimaschutz deutschen Unternehmen nur dann nicht egal ist, wenn er Umsatz bringt – zumindest darf er aber auf gar keinen Fall irgendwas kosten, schon gar nicht Vertragsstrafen oder Renommeé.

Wers richtig geraten hat, kriegt 99 Punkte. Bei 100 gibt es ein kostenloses Kohlendioxid-Zertifikat. Das ist billig, viel zu billig, um genau zu sein, trotz Bundesregierungs-Klimamikropäckchen. Und wer eine Petition gegen den Deal zeichnen möchte, findet eine solche bei change.org – ja richtig, der Plattform, der mittels Aberkennung der Gemeinnützigkeit der Garaus gemacht werden sollte. Wohl vergeblich.

Siemens will Neubauer kaufen – die geht lieber vor Gericht

Aber das Thema geht noch weiter: Siemens hat eine alte Strategie neu verpackt. Sie heißt: Kaufe Deinen Gegner! Man setzt sich gemütlich mit Fridays-for-Future-Frau Luisa Neubauer und anderen Klimaschützern an den Tisch, die auf diese Weise (oh unglaubliche Ehre!) den Siemens-Chef Kaeser von Angesicht zu Angesicht betrachten dürfen, versichert ihr, dass man ihr Anliegen wirklich sehr ernst nehme und bietet ihr einen Platz im Aufsichtsrat an. Kaum hat sie das Haus verlassen, schmettert man ihr Anliegen ab. Und hofft, dass sie trotzdem anbeißt. Doch das Spielchen funktioniert so nicht. Neubauer und andere wollen die Bundesregierung verklagen, weil sie im Klimaschutz nicht handeln. Attributionswissenschaft machts hoffentlich möglich.

Dass Anlegerschützer laut BR5-Nachrichten finden, die Lieferung nach Australien sei unumgänglich, ist übrigens klar. Es sind ja Anlegerschützer, nicht Klimaschützer. Und Anlegerschützer schützen das Vermögen der Siemens-Anleger, das durch einen sinkenden Aktienkurs von Siemens sinken würde. Von ihnen sind wahrscheinlich die meisten schon tot sind, wenn sich die wirklich gravierenden Auswirkungen des Klimawandels zeigen. Dagegen haben die meisten, die das volle Kanne miterleben werden, wohl eher noch nicht so viele Aktien, wenn überhaupt (in Deutschland hat nur ein einstelliger Prozentsatz der Bevölkerung Aktien, lese ich immer wieder). Sie (oder jedenfalls die, die nicht mit Herrn Kaeser Kaffe trinken durften) stehen deshalb freitags auf den Straßen oder dem Wittelsbacher Platz und brüllen ihren Frust heraus. Doch es könnte sein, dass sich die Lage auch aus Sicht des Anlegerschutzes bald grundlegend wandeln wird (siehe weiter unten).

Der große europäische Klimaplan und seine Feinde

Andererseits gibt es Hoffnung: EU-Kommissionspräsidentin Ursula v.d. Leyen hat einen billionenschweren Mammutplan erdacht, durch den die EU doch noch fristgerecht ergrünen soll. Ich bin gespannt! Immerhin könnte sich hier positiv auswirken, dass die neue EU-Kommissionspräsidentin viele Kinder hat, deren Lebensinteressen vital durch den Klimawandel bedroht sind.

Wie das Generationengespräch am Abendbrottisch ja überhaupt einer der wichtigsten Motoren hinter Fridays for Future ist (ob Frau v.d. Leyens Kinder dort mitmachen, ist mir unbekannt!). Denn während man als Manager im Kongresssaal, Interview und Talkshow meist mit relativ unverbindlichem Blabla erstaunlich weit kommt, erweist sich der eigene Nachwuchs häufig als unerbittlich. Darauf lassen zumindest einige meiner Diskussionen mit betroffenen Eltern schließen, die dem Manager-Beruf in Industrieunternehmen nachgehen.

Die ersten Reaktionen auf den sogenannten Green Deal sind aufschlussreich: Ausgerechnet Deutschland bremst (wie immer dann, wenn der Umwelt- und Klimaschutz auf EU-Ebene mit finanziellen Interessen gut organisierter Lobbies zusammenstößt), zusammen mit Österreich (wo die Grünen jetzt am Regierungstisch sitzen !), natürlich Polen und einigen anderen Ländern. Mehr als 1,1 Prozent wolle die Bundesregierung auf gar keinen Fall für den mittelfristigen Finanzrahmen der EU ausgeben, auch nicht für den Klimaschutz. So ändern sich die Perspektiven, sobald man nicht mehr neben Frau Merkel sitzt, sondern ihr gegenüber.

Blackrock und WEF fordern mehr Klimaschutz

Immerhin geht es anderswo offensichtlich schneller mit dem Denken, nämlich Blackrock, ein institutioneller Anleger mit Billionenvermögen unter Verwaltung. Der will, dass Unternehmen endlich mehr Klimaschutz betreiben. Auch wenn es Geld kostet. Sonst gibts was. Na, immerhin. Man darf gespannt sein, ob die bislang als gnadenlose Heuschrecke bekannte Firma wenigstens auf diesem Gebiet Segensreiches zustande bringt. Das wäre dann die eine gute Tat, die leider nicht alles andere ungeschehen macht. Aber vielleicht dazu beiträgt, wenigstens im Klimaschutz was zu bewegen.

Und das World Economic Forum legt nach. Es veröffentlicht auf seiner Website den Global Risk Report 2020. Und was konstatiert der? Die fünf wichtigsten und riskantesten Risiken kommen aus dem Bereich Klima. Von oben nach unten: Extremwetter, Gezänk statt wirksamer Klimaschutz („Climate Action Failure“), Naturkatastrophen, Verlust der Biodiversität, vom Menschen verschuldete Umweltkatastrophen. Zwei weitere sehr hoch angesetzte (Wasser-/Ernährungskrise) hängen direkt damit zusammen.

Vieles, womit man uns Tag für Tag in Trab hält, als wäre es das Wichtigste der Welt, verblasst dagegen zur Marginalie. Zum Beispiel die derzeitigen Lieblingsthemen Digitalisierung, Deflation und Wirtschaftskrise. Kurz: Aufwachen, liebe Industrie! Kommt endlich in die Klamotten! Es geht hier nicht mehr um mehr Gewinne, sondern um die Zukunft für alle, insbesondere die jungen Menschen und deren Nachfahren. Im grundlegenden Sinn, nicht im wirtschaftlichen.

Warum wir nicht handeln, oder: Was ist die schönste faule Ausrede?

Zum Schluss möchte ich noch auf ein Buch hinweisen und darauf, dass ich es immer noch am liebsten gedruckt lese. Dann kann man es nämlich verleihen, verschenken oder in einen öffentlichen Bücherschrank stellen, um seine Leserschaft für die Leser*innen finanzneutral und zukunftsoffen zu erweitern – ein Vorteil gedruckter Erzeugnisse, der dem E-Book m.E. vollständig abgeht.

Es handelt sich um das 2019 erschienene Essay „Alles wird anders“, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch im Jahre 2019. In der etwas über 200 Seiten langen Streitschrift geht es darum, wie wir alle es schaffen, die Anforderungen, die der Klimaschutz eigentlich an uns stellen würde, effektiv mental zu neutralisieren, sprich: untätig im Sessel zu sitzen und (zum Beispiel) Video zu streamen oder die nächste weite Flugreise zu planen.

Das führt dazu, dass zwar unendlich viel über Klimaschutz geredet und geschrieben wird, die Emissionen aber trotzdem steigen oder nicht schnell genug fallen, um das berühmte 2-Grad-Ziel zu realisieren. Flüssig geschrieben, gnadenlos in der Argumentation. Und durchaus auch Klimaschützern mit Hang zu Fernreisen oder passionierten Besucher*innen des Hofladens per SUV (natürlich nur der Zweitwagen) zu empfehlen. Ich wünsche einen geruhsamen Lektüre-Feierabend und bis (spätestens) nächsten Monat!

Die Jungen haben einen Plan

Viele junge Menschen fühlen sich abgehängt und dank fehlenden Wahlrechts nicht ernst genommen, insbesondere angesichts der Klimakrise, aber auch sozialer Spaltung, globaler Ungerechtigkeit und weiterer Themen.

Nun haben sich acht Mitglieder des Jugendrates der Generationenstiftung hingesetzt und ihre Vorstellungen aufgeschrieben. „Ihr habt keinen Plan – Drum machen wir einen. Zehn Bedingungen für die Rettung unserer Zukunft“, erschienen im renommierten Blessing-Verlag, ist eine rund 250 Seiten lange Streitschrift, in der die Jungen den älteren Generationen – man sollte vielleicht definieren: den Fourty-Somethings und darüber – ihre Abrechnung präsentieren: Klimawandel? Verpennt. Unbegrenztes Geldverdienen und Spekulieren statt Menschlichkeit und sozialer Gerechtigkeit. Mauern und Aufrüstung statt grenzenloser Frieden. Digitalisierung ohne Peil. Bildung ohne Geld und Demokratie unter Ausschluß der Jugend, die alle genannten Fehlentwicklungen ausbaden darf.

Wortgewaltig werden in den zehn Kapiteln zunächst die bisherigen Versäumnisse anhand valider Quellen dargestellt, dann folgen jeweils die Abhilfen, die sich die Autor*Innengruppe, natürlich nach ausführlichen Diskursen mit der Fachöffentlichkeit, überlegt hat. Das liest sich streckenweise wie die zusammengefassten Empfehlungen aller Räte, Gremien, Kongresse etc., die in den vergangenen Jahren zur Zukunft von Gesellschaft und Planet einberufen wurden. Und deren wissenschaftlich fundierte Ratschläge genauso regelmäßig, wie entsprechende Veranstaltungen oder Vorhaben stattfanden, missachtet wurden. Nun also reicht es der Jugend, oder jedenfalls einem Teil, und sie formuliert das Gegenkonzept.

Es lohnt sich auf jeden Fall, diese Vorwurfsliste und die Gegenvorschläge zu lesen. Was aber ermüdet, ist der Rundumschlag, der wirklich kein Thema auslässt. Das Buch hätte wahrscheinlich mehr Wirkung, wenn es sich auf wenige Themen beschränkte. Zumal vieles, etwa der Weltfrieden, eben nicht in deutscher Hand liegt. Selbst wenn Deutschland (wünschenswerterweise) seine Waffenexporte in Krisengebiete oder auch die gesamte Waffenproduktion sofort einstellen würde, würde deshalb wohl kaum der Frieden auf Erden ausbrechen.

Europa vorwiegend negativ?

Befremdlich ist der nahezu vollständig negative Blick, den die Autor*innen anscheinend auf Europa haben. 70 Jahre Frieden in Kerneuropa scheinen keine erwähnenswerte Errungenschaft zu sein, obwohl ohne sie wohl nicht möglich wäre, sich überhaupt so intensive Gedanken um die fernere Zukunft zu machen. Anscheinend fehlen inzwischen die Augenzeugen des Kriegsgeschehens und ihre Berichte.

Natürlich ist vieles, was Europa heute an seinen Grenzen und im Ausland tut, höchst fragwürdig. Wer jedoch das Land verlässt und die Schlagbäume und Kontrollen erlebt, die sich zwischen vielen Ländern anderswo erheben, sollte die Einmaligkeit des grenzenlosen Kontinentalwesteuropa schätzen und ihn natürlich auf andere Regionen auszudehnen versuchen.

Leider ist es auch ein Irrtum davon auszugehen, dass unsere Vorstellungen von Menschenrechten überall in der Welt auch nur unhinterfragt anerkannt würden, und dies gilt, genauso bedauerlicherweise, nicht nur für korrupte Regierungseliten, sondern für breite Bevölkerungskreise. So muss man wahrscheinlich davon ausgehen, dass der Umgang mit den Uiguren großen Teilen der chinesischen Bevölkerung und auch der chinesischen Jugend schnurzegal ist.

Die europäische Jugend sollte dafür streiten, dass den hehren Versprechungen Europas Taten folgen. Fridays for Future und der daraus entstandene aktuelle Versuch der Politik, Europa zur Klimaneutralität zu verpflichten, aber auch das nun immerhin etwas verschärfte Klimapaket der Bundesregierung sind Beispiele dafür, wie stark gezielter Protest wirken kann.

Denn es lohnt sich, für Europa zu kämpfen. Immerhin verdanken wir den europäischen Institutionen große Fortschritte bei der Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts, bei der Gleichstellung der Homosexuellen, die Urteil für Urteil vor der europäischen Gerichtsbarkeit erstritten wurde, und inzwischen auch bei der Gesetzgebung in Richtung ökologischer Nachhaltigkeit. Europa ist Deutschland hier in vielem voraus, siehe etwa auch die Düngemittelrichtlinie.

Unbestritten ist aber das behebungswürdige Demokratiedefizit der europäischen Politik, über das sich auch die Autor*Innen beklagen.

Dem Digitalwahn erlegen

Seltsam verwaschen kommt das Kapitel zur Digitalisierung daher. Grenzenlose und umfassende Digitalisierung ist inzwischen in den Rang einer weltgeschichtlichen Unausweichlichkeit erhoben wie, nun ja, vielleicht höchstens noch der Kampf gegen den Klimawandel. Die PR-Abteilungen der IT-Unternehmen haben also ganze Arbeit geleistet.

Kritisch sehen die Autor*innen des Buches vor allem die Daten-Sammelei und die oligopolistische Struktur der Plattformökonomie. Wenig beleuchtet wird unter anderem das Risiko, das wir eingehen, indem wir die gesamte Zivilisation lückenlos von einer Technologie abhängig machen, deren Tiefenwirkungen kaum verstanden wurde und deren dringender Regulierungsbedarf erst langsam sichtbar wird. Genau wie die darin verborgenen Risiken für Freiheit und Demokratie, siehe China.

Zudem ist die Existenz digitaler Technologien höchst fragil. Digitaltechnik kann durch einen einzigen großen elektromagnetischen Puls, einen Krieg in einer der Regionen, wo die Hardware produziert wird oder digitale Schädlinge im Nu komplett zerstört werden.

Der Digitalwahn verkleistert vielen wohl auch komplett die Sicht darauf, dass Online-Streamen, Liken, Gaming und wer weiß was noch alles zwar vielen die Tasche füllt, auch Spaß macht und die Kommunikation erleichtert, aber gleichzeitig einen gigantischen und immer weiter wachsenden Fußabdruck erzeugt – energetisch sowie materiell, denn die meisten Smartphones werden nach zwei Jahren aussortiert, und selbst zur Sekundärnutzung fit gemachte Hardware überschreitet selten die Nutzungsdauer von zehn Jahren. Danach wird aus High-Tech Müll.

Software wird in keiner Weise energieoptimiert entwickelt, Daten (wie das berühmte Katzenvideo) möglichst ständig über die Cloud transportiert, selbst wenn es nur darum geht, sie vom Smartphone auf den Rechner auf demselben Schreibtisch zu verlagern. Wen stört`s, wenn dafür zig Rechenzentren und Übertragungsleitungen arbeiten müssen? Die Energie wird ja den Einzelnen nur äußerst unvollständig in Rechnung gestellt.

Die in der IT enthaltenen Materialien sind zur Zeit nur sehr beschränkt rezyklierbar. Viele der in sehr kleinen, aber unentbehrlichen Mengen hinzugefügte Stoffe werden es vielleicht niemals sein, weshalb man jetzt in Tiefsee, auf Kometen oder dem Mond danach sucht. Vielleicht sollte man sich sicherheitshalber als junger Mensch das (bei den geschmähten über 60jährigen durchaus noch vorhandene) Bewusstsein bewahren, dass ein qualitätsvolles Weiterleben durchaus auch ohne oder mit erheblich weniger IT möglich wäre, die dafür sehr viel mehr kosten und länger halten müsste.

Fazit

Die jungen Rebellen aus der Generationenstiftung haben sich viel Mühe gegeben. Viele der Lösungsvorschläge sind bekannt und kaum bestritten, man müsste sie nur umsetzen wollen. An letzterem hapert es bislang in der Gesellschaft. Inwieweit die junge Generation hier anders ist, muss sich zeigen, wenn sie das erwerbsfähige Alter erreicht und der Statuswettbewerb um Geld und Güter mit Gleichaltrigen einsetzt. Es wäre zu hoffen, dass der Idealismus, von dem das Buch getragen ist, weiter reicht als bis zur ersten Gehaltserhöhung nach Studium oder Ausbildung.

Bibliographie: Der Jugendrat der Generationen Stiftung: Ihr habt keinen Plan. Darum machen wir einen. 10 Bedingungen für die Rettung unserer Zukunft. Broschiert, 272 Seiten incl. ausführlichem Quellenverzeichnis. Blessing-Verlag 2019, 12 Euro. ISBN 973-3-89667-656-6

Politische Ökologie zum Globalen Klimaschutzabkommen

Die zeitschrift Politiksche Ökologie beschäftigt ich in ihrer aktuellen Ausgabe vom Dezember 2014 schwerpunktmäßig mit dem Thema Klimaschutz und hier mit der Frage, ob ein neues, weltweites Abkommen endlich in Reichweite ist. Allerdings war zum Redaktionsschluss die relativ ergebnislos verlaufene Klimakonferenz von Lima noch nicht gewesen. Daher sind die Texte weitgehend noch guter Hoffnung dahingehend, dass die für Ende 2015 in paris geplante Weltklimakonferenz tatsächlich schaffen könnte, ein neues, weltweites Klimaabkommen zu formulieren. Man fragt sich bei der Lektüre, ob das wohl auch so gewesen wäre, hätten die Autoren den Verlauf der Lima-Konferenz gekannt.
Wie dem auch sei: Die Texte des Bandes stammen von renommierten Akteuren der Klimapolitik, häufig von Forschungsinstituten wie dem Wuppertal Institut, dem Potsdam-Institut für Klimaforschung, aber auch von Universitäten oder aus NGOs wie Greenpeace. Der inhaltliche schwerpunkt teilt sich in drei große Abschnitte. Der erste von ihnen befasst sich in sechs Beiträgen mit dem Status der aktuellen Klimapolitk. Ein sehr interessanter Beitrag untersucht 93 klimaskeptische Buchpublikationen auf ihre Argumentation und kommen zu dem Schluss, dass häufig „Schuldige“ für die Behauptung der Klimakatastrophe gesucht werden, weil das Problem für die meisten Einzelnen in den Industrienationen schwer fassbar, abstrakt und beängstigend ist. Da ist es weit einfacher, den Verdacht, das Problem zu „erfinden“ auf konkrete, greifbare personen und deren angeblich unlautere Absichten oder Motive zu lenken.
Abschnitt 2 befasst sich in mehreren Beiträgen mit der Rolle der NGOs hier und in anderen Weltgegenden. Abschnitt 3 versucht sich in einer vorsichtig optimistischen Zusammenschau der weltweiten Betrebungen, das Klima vielleicht doch noch in für die Menschheit verträglichen Bahnen zu halten. Einzelne Bieträge beschäftigen sich mit internationalen Klimaclubs, Klimaabkommen zwischen den großen Bremsern China und USA, internationalen Klimakonferenzen insgesamt und schließlich konkret mit der für 2015 geplanten großen Klimakonferenz in Paris.
Ansonsten enthält das Heft wie üblich neben dem Schwerpunkt weitere interessante Beiträge. Einer von ihnen befasst sich mit der aktuellen Frage, was das geplante Freihandelsabkommen TTIP für die kommunale Daseinsfürsorge bedeuten könnte.

Bibliographie: Oekom-Verlag (Hrsg): Klimaschutz – Neues Abkommen in Sichtweite? Ausgabe Dezember 2014 der Zeitschrift Politische Ökologie, 32. Jahrgang, ISSN 0933-5722_B_8400 F, broschiert, Din-A-5-Format, 17,95 Euro.