Ein Hoffnungsschimmer für eine andere Wirtschaft? Entwicklungen Anfang Januar

Frohes Neues Jahr, liebe Besucher des Andere-Wirtschaft-Blogs!

Ob das Jahr auch für die Nachhaltigkeit im ökologischen Sinne froh wird, das muss sich erst noch zeigen. Vorläufig gibt es genug Meldungen, die den kritischen Zustand des Klimasystems belegen, nicht nur aus Australien (dessen Premier Morrison hoffentlich nächstes Mal abgewählt wird) Beispielsweise meldete die Tagesschau am 13.1.: „Ozeane werden immer wärmer“. Diese Meldung als solches ist schlicht unbestreitbar, denn sie gibt nur Messungen wieder.

Ein überraschend großer Teil der darunter befindlichen Kommentare zeigt das Verdrängungsvermögen der sogenannten Klimaskeptiker. Zudem scheinen sie sich mangels anderer sinnvoller Beschäftigungen mit Vorliebe auf den Kommentarseiten seriöser Nachrichtenseiten tummeln, um dort die inzwischen doch etwas nachdenklichere Mehrheit der Bevölkerung von den richtigen Schlüssen (endlich ernsthafter Klimaschutz!) abzuhalten. Jede*R mit der nötigen Geduld für einen gehörigen Schuss Wahnsinn und Harakiri-Mentalität möge sich zur Qualität dieser Äußerrungen selbst ein Bild machen. Die Kommentierungsfunktion wurde um 11 Uhr 45 geschlossen. Anmerkung: Müsste jeder wie im Tageszeitungs-Leser*Innenbrief einen Klarnamen angeben, würde den Leser*Innen wahrscheinlich einiges an Blödheit und Desinformation erspart.

Siemens will lieber Kohle als keine Kohle

An die drei Affen (nichts sehen, nichts hören,…) gemahnt dieser Tage das ehemalige deutsche Vorzeigeunternehmen Siemens, insbesondere der designierte Nachfolger des derzeitigen CEO, Busch. Er ist Technikvorstand und steht dem Nachhaltigkeitsausschuss (!!) vor, der den fatalen Beschluss fasste. Muss man sich entscheiden, ob man lieber bei einem Kohleförderer weiter einen Stein im Brett haben möchte oder bei den weltweit immer mehr Institutionen und Menschen, die einsehen, dass am schleunigen und konsequenten Klimaschutz kein Weg vorbeigeht, entscheidet sich das Management, na, wofür bloß? Na klar, richtig geraten: Für den Kohleförderer, der in diesem Fall Adani Carmichael heißt! Und im brandgebeutelten Australien eine gigantische Mine bauen will. Hier zeigt sich wieder mal, dass Klimaschutz deutschen Unternehmen nur dann nicht egal ist, wenn er Umsatz bringt – zumindest darf er aber auf gar keinen Fall irgendwas kosten, schon gar nicht Vertragsstrafen oder Renommeé.

Wers richtig geraten hat, kriegt 99 Punkte. Bei 100 gibt es ein kostenloses Kohlendioxid-Zertifikat. Das ist billig, viel zu billig, um genau zu sein, trotz Bundesregierungs-Klimamikropäckchen. Und wer eine Petition gegen den Deal zeichnen möchte, findet eine solche bei change.org – ja richtig, der Plattform, der mittels Aberkennung der Gemeinnützigkeit der Garaus gemacht werden sollte. Wohl vergeblich.

Siemens will Neubauer kaufen – die geht lieber vor Gericht

Aber das Thema geht noch weiter: Siemens hat eine alte Strategie neu verpackt. Sie heißt: Kaufe Deinen Gegner! Man setzt sich gemütlich mit Fridays-for-Future-Frau Luisa Neubauer und anderen Klimaschützern an den Tisch, die auf diese Weise (oh unglaubliche Ehre!) den Siemens-Chef Kaeser von Angesicht zu Angesicht betrachten dürfen, versichert ihr, dass man ihr Anliegen wirklich sehr ernst nehme und bietet ihr einen Platz im Aufsichtsrat an. Kaum hat sie das Haus verlassen, schmettert man ihr Anliegen ab. Und hofft, dass sie trotzdem anbeißt. Doch das Spielchen funktioniert so nicht. Neubauer und andere wollen die Bundesregierung verklagen, weil sie im Klimaschutz nicht handeln. Attributionswissenschaft machts hoffentlich möglich.

Dass Anlegerschützer laut BR5-Nachrichten finden, die Lieferung nach Australien sei unumgänglich, ist übrigens klar. Es sind ja Anlegerschützer, nicht Klimaschützer. Und Anlegerschützer schützen das Vermögen der Siemens-Anleger, das durch einen sinkenden Aktienkurs von Siemens sinken würde. Von ihnen sind wahrscheinlich die meisten schon tot sind, wenn sich die wirklich gravierenden Auswirkungen des Klimawandels zeigen. Dagegen haben die meisten, die das volle Kanne miterleben werden, wohl eher noch nicht so viele Aktien, wenn überhaupt (in Deutschland hat nur ein einstelliger Prozentsatz der Bevölkerung Aktien, lese ich immer wieder). Sie (oder jedenfalls die, die nicht mit Herrn Kaeser Kaffe trinken durften) stehen deshalb freitags auf den Straßen oder dem Wittelsbacher Platz und brüllen ihren Frust heraus. Doch es könnte sein, dass sich die Lage auch aus Sicht des Anlegerschutzes bald grundlegend wandeln wird (siehe weiter unten).

Der große europäische Klimaplan und seine Feinde

Andererseits gibt es Hoffnung: EU-Kommissionspräsidentin Ursula v.d. Leyen hat einen billionenschweren Mammutplan erdacht, durch den die EU doch noch fristgerecht ergrünen soll. Ich bin gespannt! Immerhin könnte sich hier positiv auswirken, dass die neue EU-Kommissionspräsidentin viele Kinder hat, deren Lebensinteressen vital durch den Klimawandel bedroht sind.

Wie das Generationengespräch am Abendbrottisch ja überhaupt einer der wichtigsten Motoren hinter Fridays for Future ist (ob Frau v.d. Leyens Kinder dort mitmachen, ist mir unbekannt!). Denn während man als Manager im Kongresssaal, Interview und Talkshow meist mit relativ unverbindlichem Blabla erstaunlich weit kommt, erweist sich der eigene Nachwuchs häufig als unerbittlich. Darauf lassen zumindest einige meiner Diskussionen mit betroffenen Eltern schließen, die dem Manager-Beruf in Industrieunternehmen nachgehen.

Die ersten Reaktionen auf den sogenannten Green Deal sind aufschlussreich: Ausgerechnet Deutschland bremst (wie immer dann, wenn der Umwelt- und Klimaschutz auf EU-Ebene mit finanziellen Interessen gut organisierter Lobbies zusammenstößt), zusammen mit Österreich (wo die Grünen jetzt am Regierungstisch sitzen !), natürlich Polen und einigen anderen Ländern. Mehr als 1,1 Prozent wolle die Bundesregierung auf gar keinen Fall für den mittelfristigen Finanzrahmen der EU ausgeben, auch nicht für den Klimaschutz. So ändern sich die Perspektiven, sobald man nicht mehr neben Frau Merkel sitzt, sondern ihr gegenüber.

Blackrock und WEF fordern mehr Klimaschutz

Immerhin geht es anderswo offensichtlich schneller mit dem Denken, nämlich Blackrock, ein institutioneller Anleger mit Billionenvermögen unter Verwaltung. Der will, dass Unternehmen endlich mehr Klimaschutz betreiben. Auch wenn es Geld kostet. Sonst gibts was. Na, immerhin. Man darf gespannt sein, ob die bislang als gnadenlose Heuschrecke bekannte Firma wenigstens auf diesem Gebiet Segensreiches zustande bringt. Das wäre dann die eine gute Tat, die leider nicht alles andere ungeschehen macht. Aber vielleicht dazu beiträgt, wenigstens im Klimaschutz was zu bewegen.

Und das World Economic Forum legt nach. Es veröffentlicht auf seiner Website den Global Risk Report 2020. Und was konstatiert der? Die fünf wichtigsten und riskantesten Risiken kommen aus dem Bereich Klima. Von oben nach unten: Extremwetter, Gezänk statt wirksamer Klimaschutz („Climate Action Failure“), Naturkatastrophen, Verlust der Biodiversität, vom Menschen verschuldete Umweltkatastrophen. Zwei weitere sehr hoch angesetzte (Wasser-/Ernährungskrise) hängen direkt damit zusammen.

Vieles, womit man uns Tag für Tag in Trab hält, als wäre es das Wichtigste der Welt, verblasst dagegen zur Marginalie. Zum Beispiel die derzeitigen Lieblingsthemen Digitalisierung, Deflation und Wirtschaftskrise. Kurz: Aufwachen, liebe Industrie! Kommt endlich in die Klamotten! Es geht hier nicht mehr um mehr Gewinne, sondern um die Zukunft für alle, insbesondere die jungen Menschen und deren Nachfahren. Im grundlegenden Sinn, nicht im wirtschaftlichen.

Warum wir nicht handeln, oder: Was ist die schönste faule Ausrede?

Zum Schluss möchte ich noch auf ein Buch hinweisen und darauf, dass ich es immer noch am liebsten gedruckt lese. Dann kann man es nämlich verleihen, verschenken oder in einen öffentlichen Bücherschrank stellen, um seine Leserschaft für die Leser*innen finanzneutral und zukunftsoffen zu erweitern – ein Vorteil gedruckter Erzeugnisse, der dem E-Book m.E. vollständig abgeht.

Es handelt sich um das 2019 erschienene Essay „Alles wird anders“, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch im Jahre 2019. In der etwas über 200 Seiten langen Streitschrift geht es darum, wie wir alle es schaffen, die Anforderungen, die der Klimaschutz eigentlich an uns stellen würde, effektiv mental zu neutralisieren, sprich: untätig im Sessel zu sitzen und (zum Beispiel) Video zu streamen oder die nächste weite Flugreise zu planen.

Das führt dazu, dass zwar unendlich viel über Klimaschutz geredet und geschrieben wird, die Emissionen aber trotzdem steigen oder nicht schnell genug fallen, um das berühmte 2-Grad-Ziel zu realisieren. Flüssig geschrieben, gnadenlos in der Argumentation. Und durchaus auch Klimaschützern mit Hang zu Fernreisen oder passionierten Besucher*innen des Hofladens per SUV (natürlich nur der Zweitwagen) zu empfehlen. Ich wünsche einen geruhsamen Lektüre-Feierabend und bis (spätestens) nächsten Monat!