Vor kurzem hat das Bundesverfassungsgericht ein richtungweisendes Urteil gefällt. Fazit, umgangssprachlich ausgedrückt: „Ihr alten Säcke, kommt endlich in die Klamotten, setzt Euch selbst klare Zwischenziele bei der Klimarettung (so die überhaupt noch möglich ist), bis das Ziel erreicht ist, statt die Hauptarbeit den Jungen aufzubürden.“ Wer es etwas genauer möchte, schaut bitte hinter dem Link oben nach.

Fridays for Future sei Dank! Nun muss also nachgeschärft werden, was dann auch prompt erfolgte, übrigens unter erstaunlichen Beifallsbekundungen außer von der AfD (das wundert keinen). Ob konsequent genug geändert wurde, fragt man sich.

Jedenfalls wird im Moment der Plan der Grünen, Kurzstreckenflüge mittelfristig abzuschaffen, sofort genutzt, um eine angebliche Kontroverse zwischen der Kanzlerkandidatin und Grünen-Vorstandsfrau Annalena Baerbock und Robert Habeck, ebenfalls Parteivorstand, herbeizureden. Wer sehen will, wie tiefgreifend die Unterschiede zwischen ihnen wirklich sind, kann ja mal diese beiden Quellen betrachten: Einmal aus der Tagesschau zu den Baerbock-Plänen und einmal Habeck im ZDF.

Offen gesagt, ich sehe da keine so gravierenden Divergenzen, denn Habeck äußert sich gar nicht zu den Methoden, mit denen Kurzstreckenflüge abgeschafft werden sollen und hat denselben Zeithorizont wie Baerbock. Vielmehr fügt er nur das magische Wörtchen „Freiheit“ als Wertedimension hinzu (wovon? Wozu? Für wen?). Baerbock widmet sich dagegen dem Wie ohne Wertaussage.

Wahrscheinlich haben sie die internen Rollen so verteilt: Baerbock die hemdsärmelige Macherin, Habeck der Denker mit philosophischem Weitblick. Wenn das mal gut geht. Meine Wette: Wir werden erleben, wie nahezu jede Aussage der beiden jetzt so ausgelegt wird, als habe der eine hü und die andere hott geschrien, und das geht natürlich nicht in einer Bundesregierung! Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als dass Grüne eine Regierung führen, scheint bei vielen Berichterstattern die Devise zu sein. Wir haben ja Wahlkampf.

Mein Rat: Das Führungspersonal der Grünen möge sich zu kritischen Problemen eine eiserne, einheitliche Sprachregelung verpassen, so schnell es geht, und die dann auch durchhalten, selbst wenn es innerlich manchmal knirscht im Gebälk. Sonst ist die einmalige Chance, dass hierzulande wirklich einmal was Neues passiert wahrscheinlich ausgestanden (nicht dass ich die Grünen für übermäßig revolutionär hielte, aber immerhin).

Tatsächlich fürchten sich schon viele vor dem, was sie jahrzehntelang herbeigesehnt haben und was nun endlich kommen könnte. Ob das wirklich schlimm wird, liegt aber an der Ausgestaltung. Denn bei allem sehr sinnvollen Klimaschutz muss man sich natürlich klar machen, dass 80jährige Rentner mit kleiner Rente und ungedämmtem Eigenheim aus den 50ern oder 60ern, und die gibt es gerade auf dem Land genug, wohl kaum noch eine neue Heizung einbauen oder die Wände dämmen werden (und oft finanziell auch gar nicht können).

Dasselbe gilt für die heute schon zu Recht stöhnenden Mieter in den Großstädten, will man nicht einen massiven Bewohnerwechsel forcieren. Denn der Anteil der Wohnkosten wächst – und dem Budget ist es egal, ob es nun wegen Mietsteigerungen, höherer Kohlendioxidpreise oder der dauerhaften (!?) Mitfinanizerung einer Sanierungsmaßnahme, auch wenn sie längst abbezahlt ist, überschritten wird. Hier muss tatsächlich ein Ausgleich her, dessen Gestaltung über den politischen Erfolg der Klimaschutzmaßnahmen entscheiden wird.

Viel Zeit wird jedenfalls fürs Thema Klimaschutz nicht mehr bleiben, wie ein wieder einmal leider recht düsteres Buch belegt. Diesmal handelt es sich um „Die Große Flut. Was auf uns zukommt, wenn das Eis schmilzt“. Der Autor ist Geologe und Spezialist für Eis (nicht das aus der Eisdiele). Er nimmt die Leserschaft in jedem Kapitel zunächst mit auf eine Reise an einen Ort, wo man ökologische und soziale Folgen des Klimawandels szenarioartig miterleben darf. Dann folgt die geologische Erklärung dafür, warum das im ersten Teil jedes Kapitels beschriebene Szenario tatsächlich wahr werden könnte.

Ward argumentiert mit den durch Bohrkerne nachweisbaren Kohlendioxidgehalten der Luft in der erdgeschichtlichen Vergangenheit und den durch Fossilfunde oder Schichtungen belegbaren klimatischen Bedingungen zu den entsprechenden Zeiten. Gleichzeitig erzählt er, was mit den Lebewesen unter bestimmten Bedingungen passiert. Wird es zu warm, sterben viele Arten aus. Die Meere verlieren massiv an Sauerstoffgehalt und verwandeln sich zu großen Teilen in öde Kloaken, in denen nur noch Anaerobier ein gutes Leben haben. Mit als erstes sterben die Korallen (sie tun es heute schon).

Am meisten erschreckt haben mich in dem Buch zwei Dinge: Erstens, dass Ward schreibt, der Weltklimarat sei in seinen Prognosen grundsätzlich zu vorsichtig, damit niemand den Fachleuten Katastrophismus vorwerfen könne. Das heißt, eigentlich ist alles schlimmer, als es heute in den Berichten steht.

Und zweitens eine Karte Norddeutschlands und der Niederlande, die sich an eine Szenarien-Beschreibung Hamburgs im Jahr 2095 (bei 780 ppm Kohlendioxid, abgeleitet aus den heutigen Ausstoßraten samt deren realistischer Entwicklung) anschließt. Diese Karte zeigt: Das Land rechts und links der Elbe nördlich von Hamburg wäre 2095 komplett überflutet – einschließlich der gesamten nordfriesischen Küste, der Wesermarsch, der Städte Bremen und Oldenburg.

Hamburg gibt es auf der Karte noch, aber als zwei Städte, getrennt durch eine nicht mehr überquerbare Elbe, die eher ein Arm der Nordsee denn ein Fluss ist. Das „Hoch im Norden“ ist im Szenario zu einem immer wieder überschwemmten Drogen- und Schmugglernest verkommen, in dem zwar die Verwaltung teils noch funktioniert, die technischen Infrastrukturen (Strom, U-Bahn, Wasser, Gas, Telekom) jedoch wegen der immer wieder stattfindenden Wassereinbrüche langsam aber sicher zugrunde gehen. Wo die Bremer und Oldenburger dann wohnen, wird nicht besprochen. In Bremen und Oldenburg aber ganz sicher nicht.

2095, das sind jetzt noch 73 Jahre. Legt man die Lebensjahre-Statistik zugrunde, werden diese Zeit die meisten Kinder, die heute zehn Jahre oder jünger sind, noch erleben. Denn in Deutschland werden Frauen im Schnitt etwa 83, Männer etwa 78 Jahre alt. Kurzum: Es gibt wirklich keine Minute mehr zu verlieren, wenn solche Szenarien verhindert werden sollen. Denn sie entspringen nicht einer übersteigerten Phantasie wie die Echsensaga der Q-Anon-Anhänger, sondern solider wissenschaftlicher Extrapolation.

Aber das wird sicher die notorisch Verschwörungsgläubigen nicht weiter beunruhigen. Reiche Gefolgschaft ist ihnen und ihren Thesen wahrscheinlich sicher, wie der verlinkte Artikel prognostiziert.

Zum Trost: Am Ende folgt in dem Buch auch ein Kapitel über denk- und durchführbare Gegenmaßnahmen, nach Grad des Risikos geordnet. Zeit für Diskussionen, ob Eingriffe in das Recht auf Kurzstreckenflüge, Kurzzeiturlaub in der Karibik oder Rasen auf der Autobahn eine unzumutbare Lebensstiländerung darstellen, wird wahrscheinlich eher nicht bleiben. Für die meisten Menschen vor allem außerhalb der industrialisierten Welt sind derartige „Grundfreiheiten“ ohnehin extrem weit von ihrer täglichen Realität entfernt.

Peter D. Ward: Die große Flut. Was auf und zukommt, wenn das Eis schmilzt. Oekom-Verlag München 2021. 250 Seiten, broschiert, ISBN 9-783-382490. 22 Euro.

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