Wer sich schon länger darüber wundert, warum es immer so lange dauert, bis sich auch in den USA unbequeme wissenschaftliche Wahrheiten durchsetzen oder gar zu politischem Handeln führen, sollte einmal das aus dem Amerikanischen übersetzte Buch von Naomi Oreskes und Erik M. Conway („Die Machiavellis der Wissenschaft“) lesen. In den USA wurde die Arbeit unter dem Titel „Merchants of Doubt“ zum Bestseller.
Die Autoren haben es in einer fünfjährigen Puzzle-Detailarbeit unternommen, das verheerende Lobbying von Regulierung bedrohter Industrien, unterstützt durch einen überschaubaren Klüngel gut vernetzter, im kalten krieg aktiver Wissenschaftler, meist Physiker, nachzuzeichnen. Gemeinsam mit konservativen Politikern, die sich als Verteidiger der Freiheit fühlten, boykottierte die Industrie, kräftig unterstützt von diesen Wissenschafts-Lobbyisten ziemlich jede gesundheits- und umweltpolitische Regulierungsinitiative in den USA. Gemeinsam verzögerten sie dringend notwendiges politisches Handeln oft jahrzehntelang, indem sie anerkanntes Wissen der Scientific Community verleugneten, verfälschten oder schlicht ignorierten, und dies unterstützt von vielen Millionen Fördergeldern. Das dürfte mal den Menschen (aktives und passives Rauchen), mal der Natur (saurer Regen, Klimawandel) und manchmal beidem (Ozonloch) erhelblichen Schaden zugefügt haben.
Fragt man sich warum – nun, auch diese Antwort liefern die Autoren glänzend begründet: Immer ging es darum, eine vermeintlich nicht begrenzbare Freiheit der Wirtschaft aufrecht zu erhalten – und sei es auf Kosten der Wahrheit. Auch für Journalisten hat das Buch eine Message im Gepäck: Falsche Ausgewogenheit bewirkt das Gegenteil von dem, was Journalisten eigentlich anstreben sollten, nämlich die Suche nach der Wahrheit zu unterstützen. Gibt es einen wissenschaftlichen Konsens, der durch sorgfältige wechselseitige Kontrollen der Forschungsergebnisse hergestellt wurde (Peer Review), muss dieser bis zum Beweis des Gegenteils als der Stand des Wissens betrachtet werden – auch im Journalismus. Wissenschaftliche Mindermeinungen zu solchen Fragen sind, wenn man sie überhaupt groß zu Wort kommen lässt, deutlich als solche zu kennzeichnen. Das gilt zum Beispiel inzwischen auch für den menschengemachten Klimawandel, den heute fast die gesamte wissenschaftliche Community als gegeben annimmt. Schließlich darf sich auch niemand mehr mit der Behauptung brüsten, die Erde sei eine Scheibe.

Bibliographie: Naomi Oreskes, Erik M. Conway: Die machiavellis der Wissenschaft. Das Netzwerk des Leugnens. Gebunden, 364 Seiten, Wiley-VCH, Weinheim, ISBN 978-3-527-41211-2, 24,90 €.

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