Während Aspekte wie Klimaveränderung, Knappheiten bei Wasser, bebaubarem Land und anderen Ressourcen ständig im Blickpunkt stehen, ist dies bei der Bevölkerungsentwicklung weit weniger der Fall. Nun beschäftigt sich Alan Weisman, der Autor des Weltbestsellers „Die Welt ohne uns“ mit diesem Thema.

Der Autor von „Countdown“, Alan Weisman, hat sich auf eine mehrjährige Reise rund um den Globus begeben, um vier Fragen zu beantworten. Sie befassen sich mit der Tragfähigkeit von Ökosystemen, den Mindestbedarf an ökologischen Systemdienstleistungen, die die Zivilisation benötigt, den möglichen Wegen, um die Beschränkung der Zahl der Menschen ohne gewaltsame Eingriffe zu erreichen, und eine Ökonomie ranken, die mit schrumpfenden Bewohnerzahlen zurechtkommt, weil sie selbst nicht mehr wächst.
Das ist für ein in Deutschland erhältliches Buch kein unkritisches Thema, denn spätestens seit die Nazis jede Beschäftigung mit bevölkerungspolitischen Fragen diskreditiert haben, ruft allein schon die Diskussion dieses Themas gerade bei linken Kreisen Stirnrunzeln hervor. Doch Weisman lässt an keiner Stelle Zweifel daran, dass das Konsumniveau der industrialisierten Nationen genauso problematisch ist wie der Zuwachs an Bevölkerung. Allerdings weist er darauf hin, dass auch Menschen in den ärmeren Ökonomien nach mehr streben und man ihnen das auch kaum streitig machen kann.
Ein Ansatz, der Ressourcen schützen will, ohne dass die Zahl der menschlichen Erdbewohner sinkt, scheint ihm zum Scheitern verurteilt. Das klingt zunächst fremd, denn verschiedene Akteure sind der Ansicht, die Probleme bei der Nahrungsversorgung ließen sich lösen, sobald nur die Nahrungsmittel gerecht verteilt würden. Weisman zeigt jedoch, dass das Nahrungsproblem nur eines von vielen ist und seine Lösung naturgemäß ebenfalls sehr viel einfacher wäre, wenn weniger Bäuche gefüllt werden müssten. Immerhin bewohnen heute dreimal mehr Menschen den Globus als noch in den Sechzigern, und der Anstieg setzt sich fort, wenn auch einige Wissenschaftler glauben, die selbstwirksame Dynamik aus mehr Bildung und Wohlstand in vielen sich entwickelnden Ökonomien werde rechtzeitig und von selbst zu einem Rückgang der Vermehrungsrate führen.
Weisman ist nach Israel, Japan, Iran, die Philippinen, China, Indien, Nepal, Uganda, die USA und weitere Länder gereist, in denen sich schon heute Auswirkungen von Klimawandel und rapidem Bevölkerungsanstieg zeigen oder wo Bevölkerungspolitik in Gestalt von Geburtenkontrolle oder ihrem Gegenteil stattfindet. Er hat mit Wissenschaftlern, Betroffenen und Politikern gesprochen, sich die Umstände vor Ort angesehen und unterschiedliche Ansätze von Bevölkerungspolitik kennengelernt. Die Berichte von seinen Reisen sind spannende Reportagen, allein deshalb ist das Buch lesenswert.
Wer nun befürchtet, Weisman gelange zu dem Schluss, dass martialische Bevölkerungsplanungsprogramme wie das chinesische oder die indischen Massen-Sterilisationsaktionen der einzige oder gar beste Weg wären, irrt. Weismans belegt statt dessen an vielen Beispielen : Meist wollen Menschen und insbesondere Frauen keine großen Kinderzahlen, am liebsten lassen sie es bei ein oder zwei Kindern bewenden. Was sie dafür brauchen, ist Bildung und Aufwertung ihres Geschlechts im Allgemeinen und einen bezahlbaren Zugang zu Verhütungsmitteln. Je schneller diese beiden Dinge global verfügbar gemacht werden, desto größer sei die Chance der Menschheit, innerhalb der nächsten hundert Jahre wieder in die Grenzen der dauerhaften Tragfähigkeit der Erde zurückzuschrumpfen, die die von Weismann befragten Experten bei 1,5 bis zwei Milliarden Menschen verorten. Den Versprechen der grünen Gentechnik steht Weisman nach seinen Besuchen in Indien skeptisch gegenüber. Die dort verwendeten Super-Arten, haben durch ihren ohen Waasserbedarf den Boden ausgetrocknet, was nun die Bauern, die Wasser, Dünger und Saatgut nicht mehr bezahlen oder beschaffen können, reihenweise in den Selbstmord treibt.
Weismans Berichte lassen keinen Zweifel daran, dass es immer noch genug Politiker und Ehemänner gibt, die von einer Beschränkung der Fruchtbarkeit aus Tradition oder anderen Erwägungen nichts wissen wollen, weshalb es besonders wichtig sei, die Frauen zu adressieren und ihnen Möglichkeiten zu geben, sich selbständig für eine Begrenzung der Kinderzahl zu entscheiden. Andererseits spricht Weisman auch von den Vorteilen, die neuartige Verhütungsmethoden für Männer mit sich brächten.
Was ein Schrumpfungsprozess bei den Bevölkerungszahlen, sollte er durch menschlichen Willen statt durch Naturkatastrophen, Hunger und Kriege zustande kommen, ökonomisch und sozial bedeutet und wie man ihn handhaben könnte, dafür hat Weisman keine schlüssigen Antworten, aber Ansätze. Die gibt es heute schon in Japan und China zu besichtigen: Pflegeroboter, Alten-Gemeinschaften, die Neubelebung fast ausgestorbener Dörfer durch Großstadt-Flüchtlinge, die bereit sind, einfacher und dafür in Ruhe zu leben etc.
Weisman ält sich mit eigenen Bewertungen zurück, sondern vertraut vielmehr in guter Journalisten-Manier den Aussagen seiner Gesprächspartner. Deren gelebte Praxis, Forschungsergebnisse, Projekte und Ideen machen Hoffnung, das heikle Thema nicht mehr länger zu tabuisieren und sich auch hierzulande von der Sicht zu verabschieden, schrumpfende Bevölkerungszahlen schafften unlösbare Probleme. Insofern ist Weismans Buch ein wichtiger Beitrag zu einer Diskussion, die hier und anderswo geführt werden muss, statt Frauen, die sich für nur ein Kind oder keine Kinder entscheiden, via Herdprämie zur Vermehrung wider besseres Wissen und Wollen in einer ohnehin heillos überfüllten Welt zu motivieren. Und es kommt ohne den Zynismus des Kurzbüchleins „Zehn Milliarden“ aus, das sich gleichzeitig mit demselben Thema beschäftigt und auf der letzten Seite als einzige Lösung anbietet, Kinder (natürlich nur die Söhne) im Gebrauch von Schusswaffen zu unterweisen.

Bibliographie: Alan Weisman, Countdown. Hat die Erde eine Zukunft? Gebunden, einige s/w Fotografien, 576 Seiten, Piper-Verlag, ISBN 3-492-05431-5, 24,99 Euro

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