Zuerst möchte ich auf die Initiative „Sand im Getriebe“ aufmerksam machen. Sie hat am 29. Mai einen dezentralen Aktionstag gegen Kaufprämien für Autos veranstaltet. Das ist löblich, denn der Verkehr muss so oder so umgestaltet werden. Warum dazu nicht die Corona-Krise nutzen, statt jetzt wieder alten Wein in noch ältere Schläuche zu füllen. Unsere Autoindustrie hat lange genug getrickst und getäuscht, statt sich rechtzeitig auf die Zukunft einzustellen. Arbeitsplätze? Wer hat um die ebenfalls sechsstelligen Arbeitsplatzverluste in der Solarindustrie geweint? Dabei handelte es sich um Zukunftsfähiges und nicht um den Versuch, die Zeit mit allen Mitteln aufzuhalten. Jetzt sind wir hinsichtlich der Solarzellenproduktion von China abhängig, und das hätte nicht sein müssen.
Ansonsten möchte ich diesen Monat vor allem auf eine neue, wichtige Publikation hinweisen: Es geht um das Whitepaper „The Green Swan“, das die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich herausgegeben hat und damit einer der weltweit höchstrangigen Finanzakteure. Die fünf Autoren (eine Frau ist nicht dabei) stammen aus der Wissenschaft oder der Banque de France.
Wir hören ja auch von denjenigen, die die Wirtschaft gern ökologischer sähen oft genug, es gehe vor allem darum, ökologische Schäden irgendwie in Produktpreise einzupreisen oder anderweitig als Kosten wirksam zu machen, sei es durch einen Preis für Kohlendioxid oder durch Umweltsteuern. So wird die ökologische Zeitenwende zum reinen Rechenproblem: Man nehme die richtige Incentive-Struktur, sorge für innovative Technologien, mache die günstiger als dreckige Technologien, und der Rest klappt schon. Außerdem verlassen sich Wirtschaftswissenschaftler gern auf mathematische Modelle, die aus früheren Erfahrungsdaten Prognosen für die Zukunft ableiten – etwa darüber, wie sich bestimmte Steuerungsmechanismen, also ein Kohlendioxidpreis, Steuern oder Zertifkate auswirken könnten.
Das Dumme ist nur – und da ist dieses Papier absolut eindeutig: Solche Modelle werden der chaotischen Natur der beim Klimawandel und auch bei anderen Großkrisen (Corona!) ablaufenden Prozesse in Natur und Gesellschaft nicht gerecht. Die Entwicklungen seien zu vielfältig, zu interdependent und schon in sich relativ unvorhersehbar, um die Entwicklung realistisch in Modellen abzubilden, die mit Daten aus der Vergangenheit arbeiten. Kurz: Man braucht hier etwas völlig anderes, nämlich Szenarien. Auch diese könnten die Entwicklung nicht hundertprozentig vorhersagen, wären aber etwas besser geeignet. Was allerdings ein bestimmtes Szenario für einzelne Branchen oder Firmen bedeute, ließe sich kaum je gut vorhersagen – hier geht es um das sogenannte Transformationsrisiko. Und was das alles mit der Gesellschaft mache, schon gar nicht.
Außerdem sagen die Autoren klar und deutlich, dass Zentralbanken anders als bei der Finanzkrise vor rund zehn Jahren mit der Abfederung der Transformationskrise, die durch den Klimawandel hervorgerufen wird, überfordert sind. Es sei eine konzertierte Aktion notwendig, die neben den Banken die politische Sphäre und die Gesellschaft fordern.
Nötig sei nämlich das, was die radikaleren ökologischen Schulen schon lange fordern: ein grundsätzlicher Wandel unserer Lebensweise, gepaart mit geeigneten Finanzmechanismen UND innovativen Technologien. Hurra, nun sagt es auch die Finanzbranche, und zwar, weil die Risiken des Klimawandels so gigantisch sind, dass sie keiner mehr schultern kann. Die Rolle der Banken sehen die Autoren übrigens am ehesten in einer Art übergeordneter Koordinierungsinstanz für den gesamten Transformationsprozess.
Das Anthropozän: Was, wann, warum, wer?
Das also haben wir nun vom Anthropozän! Doch was ist das überhaupt? Eine gut lesbare, kurze und prägnante Einführung in diesen Begriff und seine Geschichte gibt ein aktuelles Taschenbuch von Erle Ellis. Ganz nebenbei bekommt man noch eine Einführung in die Geologie und ihre Zeitskalen und bekommt mit, worum es in den Diskussionen hinsichtlich des Begriffs überhaupt geht: Wann genau nämlich soll dieses Anthropozän eigentlich beginnen? Welche Spuren wären geeignet, es nachzuweisen? Und welche Spielräume eröffnet diese Begrifflichkeit eventuell? Mir hat das gut gefallen. Ich wollte schon immer was dazu lesen, und hier wird die ganze Entwicklung des Themas erst einmal relativ neutral dargestellt, bevor der Autor, Erle C. Ellis, seine ganz persönliche Meinung präsentiert.
Einmal angenommen, das ewige Höher – Schneller – Weiter findet dank Klima, Seuchen und was weiß ich noch für Einflüssen ein Ende: da fragt man sich doch, was ist eigentlich wichtig auf dieser Welt? Was macht Menschen zufrieden, und was nur die Menschen, die das, was angeblich zufrieden macht, verkaufen?
Damit beschäftigt sich ein interessantes Buch des Soziologen Martin Schröder. Er beschäftigt sich schon lange mit Zufriedenheitsforschung und hat dafür eine der weltweit größten Querschnittsstudien ausgewertet. Dafür wurden seit 1985 im Rahmen des SOEP (Sozial-ökonomischen Panels) rund 85.000 Deutsche aller geschlechter immer wieder befragt: nach ihren Einstellungen, Bedürfnissen, ihrer Arbeit, ihrer Wohnsituation etc.pp und ihrer Zufriedenheit. Das riesige Datenkonvolut hat Schröder wieder und wieder durchforstet, sich überschneidende Einflüsse herausgerechnet und am Ende herausgefiltert, was Menschen – nach diesen Daten – eigentlich zufrieden macht. Das bringt einige überraschende Erkenntnisse, die einem manchmal auch nicht geheuer sind, aber interessant ist es auf jeden Fall. Und amüsant auch. Man kann das Werk also durchaus empfehlen.
Bigliographie: Martin Schröder: Wann sind wir wirklich zufrieden? Überraschende Erkenntnisse zu Arbeit, Liebe, Kindern, Geld. 288 Seiten, gebunden, zahlreiche Grafiken, Stichwort- und Literaturverzeichnis. C. Bertelsmann, Gütersloh. ISBN 978-3-570-10405-7, 20 €
Erle C. Ellis, Anthropozän. Das Zeitalter des Menschen – eine Einführung. 250 Seiten, broschiert, zahlreiche Grafiken, Literatur- und Stichwortverzeichnis. Oekom, München, 2020.18,50 €