Viele junge Menschen fühlen sich abgehängt und dank
fehlenden Wahlrechts nicht ernst genommen, insbesondere angesichts der
Klimakrise, aber auch sozialer Spaltung, globaler Ungerechtigkeit und weiterer
Themen.
Nun haben sich acht Mitglieder des Jugendrates der
Generationenstiftung hingesetzt und ihre Vorstellungen aufgeschrieben. „Ihr
habt keinen Plan – Drum machen wir einen. Zehn Bedingungen für die Rettung
unserer Zukunft“, erschienen im renommierten Blessing-Verlag, ist eine rund 250
Seiten lange Streitschrift, in der die Jungen den älteren Generationen – man
sollte vielleicht definieren: den Fourty-Somethings und darüber – ihre
Abrechnung präsentieren: Klimawandel? Verpennt. Unbegrenztes Geldverdienen und
Spekulieren statt Menschlichkeit und sozialer Gerechtigkeit. Mauern und
Aufrüstung statt grenzenloser Frieden. Digitalisierung ohne Peil. Bildung ohne
Geld und Demokratie unter Ausschluß der Jugend, die alle genannten
Fehlentwicklungen ausbaden darf.
Wortgewaltig werden in den zehn Kapiteln zunächst die
bisherigen Versäumnisse anhand valider Quellen dargestellt, dann folgen jeweils
die Abhilfen, die sich die Autor*Innengruppe, natürlich nach ausführlichen
Diskursen mit der Fachöffentlichkeit, überlegt hat. Das liest sich
streckenweise wie die zusammengefassten Empfehlungen aller Räte, Gremien,
Kongresse etc., die in den vergangenen Jahren zur Zukunft von Gesellschaft und
Planet einberufen wurden. Und deren wissenschaftlich fundierte Ratschläge
genauso regelmäßig, wie entsprechende Veranstaltungen oder Vorhaben stattfanden,
missachtet wurden. Nun also reicht es der Jugend, oder jedenfalls einem Teil, und
sie formuliert das Gegenkonzept.
Es lohnt sich auf jeden Fall, diese Vorwurfsliste und die
Gegenvorschläge zu lesen. Was aber ermüdet, ist der Rundumschlag, der wirklich
kein Thema auslässt. Das Buch hätte wahrscheinlich mehr Wirkung, wenn es sich
auf wenige Themen beschränkte. Zumal vieles, etwa der Weltfrieden, eben nicht
in deutscher Hand liegt. Selbst wenn Deutschland (wünschenswerterweise) seine
Waffenexporte in Krisengebiete oder auch die gesamte Waffenproduktion sofort
einstellen würde, würde deshalb wohl kaum der Frieden auf Erden ausbrechen.
Europa vorwiegend negativ?
Befremdlich ist der nahezu vollständig negative Blick, den
die Autor*innen anscheinend auf Europa haben. 70 Jahre Frieden in Kerneuropa
scheinen keine erwähnenswerte Errungenschaft zu sein, obwohl ohne sie wohl
nicht möglich wäre, sich überhaupt so intensive Gedanken um die fernere Zukunft
zu machen. Anscheinend fehlen inzwischen die Augenzeugen des Kriegsgeschehens
und ihre Berichte.
Natürlich ist vieles, was Europa heute an seinen Grenzen und
im Ausland tut, höchst fragwürdig. Wer jedoch das Land verlässt und die
Schlagbäume und Kontrollen erlebt, die sich zwischen vielen Ländern anderswo
erheben, sollte die Einmaligkeit des grenzenlosen Kontinentalwesteuropa
schätzen und ihn natürlich auf andere Regionen auszudehnen versuchen.
Leider ist es auch ein Irrtum davon auszugehen, dass unsere
Vorstellungen von Menschenrechten überall in der Welt auch nur unhinterfragt
anerkannt würden, und dies gilt, genauso bedauerlicherweise, nicht nur für
korrupte Regierungseliten, sondern für breite Bevölkerungskreise. So muss man
wahrscheinlich davon ausgehen, dass der Umgang mit den Uiguren großen Teilen
der chinesischen Bevölkerung und auch der chinesischen Jugend schnurzegal ist.
Die europäische Jugend sollte dafür streiten, dass den
hehren Versprechungen Europas Taten folgen. Fridays for Future und der daraus
entstandene aktuelle Versuch der Politik, Europa zur Klimaneutralität zu
verpflichten, aber auch das nun immerhin etwas verschärfte Klimapaket der
Bundesregierung sind Beispiele dafür, wie stark gezielter Protest wirken kann.
Denn es lohnt sich, für Europa zu kämpfen. Immerhin
verdanken wir den europäischen Institutionen große Fortschritte bei der
Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts, bei der Gleichstellung der
Homosexuellen, die Urteil für Urteil vor der europäischen Gerichtsbarkeit
erstritten wurde, und inzwischen auch bei der Gesetzgebung in Richtung
ökologischer Nachhaltigkeit. Europa ist Deutschland hier in vielem voraus, siehe
etwa auch die Düngemittelrichtlinie.
Unbestritten ist aber das behebungswürdige Demokratiedefizit
der europäischen Politik, über das sich auch die Autor*Innen beklagen.
Dem Digitalwahn erlegen
Seltsam verwaschen kommt das Kapitel zur Digitalisierung
daher. Grenzenlose und umfassende Digitalisierung ist inzwischen in den Rang
einer weltgeschichtlichen Unausweichlichkeit erhoben wie, nun ja, vielleicht
höchstens noch der Kampf gegen den Klimawandel. Die PR-Abteilungen der
IT-Unternehmen haben also ganze Arbeit geleistet.
Kritisch sehen die Autor*innen des Buches vor allem die
Daten-Sammelei und die oligopolistische Struktur der Plattformökonomie. Wenig
beleuchtet wird unter anderem das Risiko, das wir eingehen, indem wir die
gesamte Zivilisation lückenlos von einer Technologie abhängig machen, deren
Tiefenwirkungen kaum verstanden wurde und deren dringender Regulierungsbedarf
erst langsam sichtbar wird. Genau wie die darin verborgenen Risiken für
Freiheit und Demokratie, siehe China.
Zudem ist die Existenz digitaler Technologien höchst fragil.
Digitaltechnik kann durch einen einzigen großen elektromagnetischen Puls, einen
Krieg in einer der Regionen, wo die Hardware produziert wird oder digitale
Schädlinge im Nu komplett zerstört werden.
Der Digitalwahn verkleistert vielen wohl auch komplett die
Sicht darauf, dass Online-Streamen, Liken, Gaming und wer weiß was noch alles
zwar vielen die Tasche füllt, auch Spaß macht und die Kommunikation erleichtert,
aber gleichzeitig einen gigantischen und immer weiter wachsenden Fußabdruck
erzeugt – energetisch sowie materiell, denn die meisten Smartphones werden nach
zwei Jahren aussortiert, und selbst zur Sekundärnutzung fit gemachte Hardware
überschreitet selten die Nutzungsdauer von zehn Jahren. Danach wird aus
High-Tech Müll.
Software wird in keiner Weise energieoptimiert entwickelt,
Daten (wie das berühmte Katzenvideo) möglichst ständig über die Cloud
transportiert, selbst wenn es nur darum geht, sie vom Smartphone auf den
Rechner auf demselben Schreibtisch zu verlagern. Wen stört`s, wenn dafür zig
Rechenzentren und Übertragungsleitungen arbeiten müssen? Die Energie wird ja
den Einzelnen nur äußerst unvollständig in Rechnung gestellt.
Die in der IT enthaltenen Materialien sind zur Zeit nur sehr
beschränkt rezyklierbar. Viele der in sehr kleinen, aber unentbehrlichen Mengen
hinzugefügte Stoffe werden es vielleicht niemals sein, weshalb man jetzt in
Tiefsee, auf Kometen oder dem Mond danach sucht. Vielleicht sollte man sich
sicherheitshalber als junger Mensch das (bei den geschmähten über 60jährigen
durchaus noch vorhandene) Bewusstsein bewahren, dass ein qualitätsvolles
Weiterleben durchaus auch ohne oder mit erheblich weniger IT möglich wäre, die
dafür sehr viel mehr kosten und länger halten müsste.
Fazit
Die jungen Rebellen aus der Generationenstiftung haben sich
viel Mühe gegeben. Viele der Lösungsvorschläge sind bekannt und kaum bestritten,
man müsste sie nur umsetzen wollen. An letzterem hapert es bislang in der
Gesellschaft. Inwieweit die junge Generation hier anders ist, muss sich zeigen,
wenn sie das erwerbsfähige Alter erreicht und der Statuswettbewerb um Geld und
Güter mit Gleichaltrigen einsetzt. Es wäre zu hoffen, dass der Idealismus, von
dem das Buch getragen ist, weiter reicht als bis zur ersten Gehaltserhöhung
nach Studium oder Ausbildung.
Bibliographie: Der Jugendrat der Generationen Stiftung: Ihr habt keinen Plan. Darum machen wir einen. 10 Bedingungen für die Rettung unserer Zukunft. Broschiert, 272 Seiten incl. ausführlichem Quellenverzeichnis. Blessing-Verlag 2019, 12 Euro. ISBN 973-3-89667-656-6