Die Jungen haben einen Plan

Viele junge Menschen fühlen sich abgehängt und dank fehlenden Wahlrechts nicht ernst genommen, insbesondere angesichts der Klimakrise, aber auch sozialer Spaltung, globaler Ungerechtigkeit und weiterer Themen.

Nun haben sich acht Mitglieder des Jugendrates der Generationenstiftung hingesetzt und ihre Vorstellungen aufgeschrieben. „Ihr habt keinen Plan – Drum machen wir einen. Zehn Bedingungen für die Rettung unserer Zukunft“, erschienen im renommierten Blessing-Verlag, ist eine rund 250 Seiten lange Streitschrift, in der die Jungen den älteren Generationen – man sollte vielleicht definieren: den Fourty-Somethings und darüber – ihre Abrechnung präsentieren: Klimawandel? Verpennt. Unbegrenztes Geldverdienen und Spekulieren statt Menschlichkeit und sozialer Gerechtigkeit. Mauern und Aufrüstung statt grenzenloser Frieden. Digitalisierung ohne Peil. Bildung ohne Geld und Demokratie unter Ausschluß der Jugend, die alle genannten Fehlentwicklungen ausbaden darf.

Wortgewaltig werden in den zehn Kapiteln zunächst die bisherigen Versäumnisse anhand valider Quellen dargestellt, dann folgen jeweils die Abhilfen, die sich die Autor*Innengruppe, natürlich nach ausführlichen Diskursen mit der Fachöffentlichkeit, überlegt hat. Das liest sich streckenweise wie die zusammengefassten Empfehlungen aller Räte, Gremien, Kongresse etc., die in den vergangenen Jahren zur Zukunft von Gesellschaft und Planet einberufen wurden. Und deren wissenschaftlich fundierte Ratschläge genauso regelmäßig, wie entsprechende Veranstaltungen oder Vorhaben stattfanden, missachtet wurden. Nun also reicht es der Jugend, oder jedenfalls einem Teil, und sie formuliert das Gegenkonzept.

Es lohnt sich auf jeden Fall, diese Vorwurfsliste und die Gegenvorschläge zu lesen. Was aber ermüdet, ist der Rundumschlag, der wirklich kein Thema auslässt. Das Buch hätte wahrscheinlich mehr Wirkung, wenn es sich auf wenige Themen beschränkte. Zumal vieles, etwa der Weltfrieden, eben nicht in deutscher Hand liegt. Selbst wenn Deutschland (wünschenswerterweise) seine Waffenexporte in Krisengebiete oder auch die gesamte Waffenproduktion sofort einstellen würde, würde deshalb wohl kaum der Frieden auf Erden ausbrechen.

Europa vorwiegend negativ?

Befremdlich ist der nahezu vollständig negative Blick, den die Autor*innen anscheinend auf Europa haben. 70 Jahre Frieden in Kerneuropa scheinen keine erwähnenswerte Errungenschaft zu sein, obwohl ohne sie wohl nicht möglich wäre, sich überhaupt so intensive Gedanken um die fernere Zukunft zu machen. Anscheinend fehlen inzwischen die Augenzeugen des Kriegsgeschehens und ihre Berichte.

Natürlich ist vieles, was Europa heute an seinen Grenzen und im Ausland tut, höchst fragwürdig. Wer jedoch das Land verlässt und die Schlagbäume und Kontrollen erlebt, die sich zwischen vielen Ländern anderswo erheben, sollte die Einmaligkeit des grenzenlosen Kontinentalwesteuropa schätzen und ihn natürlich auf andere Regionen auszudehnen versuchen.

Leider ist es auch ein Irrtum davon auszugehen, dass unsere Vorstellungen von Menschenrechten überall in der Welt auch nur unhinterfragt anerkannt würden, und dies gilt, genauso bedauerlicherweise, nicht nur für korrupte Regierungseliten, sondern für breite Bevölkerungskreise. So muss man wahrscheinlich davon ausgehen, dass der Umgang mit den Uiguren großen Teilen der chinesischen Bevölkerung und auch der chinesischen Jugend schnurzegal ist.

Die europäische Jugend sollte dafür streiten, dass den hehren Versprechungen Europas Taten folgen. Fridays for Future und der daraus entstandene aktuelle Versuch der Politik, Europa zur Klimaneutralität zu verpflichten, aber auch das nun immerhin etwas verschärfte Klimapaket der Bundesregierung sind Beispiele dafür, wie stark gezielter Protest wirken kann.

Denn es lohnt sich, für Europa zu kämpfen. Immerhin verdanken wir den europäischen Institutionen große Fortschritte bei der Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts, bei der Gleichstellung der Homosexuellen, die Urteil für Urteil vor der europäischen Gerichtsbarkeit erstritten wurde, und inzwischen auch bei der Gesetzgebung in Richtung ökologischer Nachhaltigkeit. Europa ist Deutschland hier in vielem voraus, siehe etwa auch die Düngemittelrichtlinie.

Unbestritten ist aber das behebungswürdige Demokratiedefizit der europäischen Politik, über das sich auch die Autor*Innen beklagen.

Dem Digitalwahn erlegen

Seltsam verwaschen kommt das Kapitel zur Digitalisierung daher. Grenzenlose und umfassende Digitalisierung ist inzwischen in den Rang einer weltgeschichtlichen Unausweichlichkeit erhoben wie, nun ja, vielleicht höchstens noch der Kampf gegen den Klimawandel. Die PR-Abteilungen der IT-Unternehmen haben also ganze Arbeit geleistet.

Kritisch sehen die Autor*innen des Buches vor allem die Daten-Sammelei und die oligopolistische Struktur der Plattformökonomie. Wenig beleuchtet wird unter anderem das Risiko, das wir eingehen, indem wir die gesamte Zivilisation lückenlos von einer Technologie abhängig machen, deren Tiefenwirkungen kaum verstanden wurde und deren dringender Regulierungsbedarf erst langsam sichtbar wird. Genau wie die darin verborgenen Risiken für Freiheit und Demokratie, siehe China.

Zudem ist die Existenz digitaler Technologien höchst fragil. Digitaltechnik kann durch einen einzigen großen elektromagnetischen Puls, einen Krieg in einer der Regionen, wo die Hardware produziert wird oder digitale Schädlinge im Nu komplett zerstört werden.

Der Digitalwahn verkleistert vielen wohl auch komplett die Sicht darauf, dass Online-Streamen, Liken, Gaming und wer weiß was noch alles zwar vielen die Tasche füllt, auch Spaß macht und die Kommunikation erleichtert, aber gleichzeitig einen gigantischen und immer weiter wachsenden Fußabdruck erzeugt – energetisch sowie materiell, denn die meisten Smartphones werden nach zwei Jahren aussortiert, und selbst zur Sekundärnutzung fit gemachte Hardware überschreitet selten die Nutzungsdauer von zehn Jahren. Danach wird aus High-Tech Müll.

Software wird in keiner Weise energieoptimiert entwickelt, Daten (wie das berühmte Katzenvideo) möglichst ständig über die Cloud transportiert, selbst wenn es nur darum geht, sie vom Smartphone auf den Rechner auf demselben Schreibtisch zu verlagern. Wen stört`s, wenn dafür zig Rechenzentren und Übertragungsleitungen arbeiten müssen? Die Energie wird ja den Einzelnen nur äußerst unvollständig in Rechnung gestellt.

Die in der IT enthaltenen Materialien sind zur Zeit nur sehr beschränkt rezyklierbar. Viele der in sehr kleinen, aber unentbehrlichen Mengen hinzugefügte Stoffe werden es vielleicht niemals sein, weshalb man jetzt in Tiefsee, auf Kometen oder dem Mond danach sucht. Vielleicht sollte man sich sicherheitshalber als junger Mensch das (bei den geschmähten über 60jährigen durchaus noch vorhandene) Bewusstsein bewahren, dass ein qualitätsvolles Weiterleben durchaus auch ohne oder mit erheblich weniger IT möglich wäre, die dafür sehr viel mehr kosten und länger halten müsste.

Fazit

Die jungen Rebellen aus der Generationenstiftung haben sich viel Mühe gegeben. Viele der Lösungsvorschläge sind bekannt und kaum bestritten, man müsste sie nur umsetzen wollen. An letzterem hapert es bislang in der Gesellschaft. Inwieweit die junge Generation hier anders ist, muss sich zeigen, wenn sie das erwerbsfähige Alter erreicht und der Statuswettbewerb um Geld und Güter mit Gleichaltrigen einsetzt. Es wäre zu hoffen, dass der Idealismus, von dem das Buch getragen ist, weiter reicht als bis zur ersten Gehaltserhöhung nach Studium oder Ausbildung.

Bibliographie: Der Jugendrat der Generationen Stiftung: Ihr habt keinen Plan. Darum machen wir einen. 10 Bedingungen für die Rettung unserer Zukunft. Broschiert, 272 Seiten incl. ausführlichem Quellenverzeichnis. Blessing-Verlag 2019, 12 Euro. ISBN 973-3-89667-656-6

Selber schuld? Über die Wurzeln des aktuellen Rechtspopulismus

Die folgende Rezension beschreibt nicht direkt ein Wirtschaftsthema, befasst sich aber sehr wohl mit einigen Auswirkungen des gegenwärtigen Globalisierungstrends, der allerdings nicht nur die Wirtschaft betrifft. Woher der derzeitige Rechtspopulismus kommt, wird oft und häufig extrem eindimensional diskutiert. Viele der Diskussionen zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Gründe für entsprechende Geisteshaltungen vor allem in Aufklärungsdefiziten, Bildungsmängeln oder einem nicht bewältigten Dritten Reich sehen. Ein inzwischen zum „Buch des Monats“ ausgerufenes Werk „Die Gesellschaft des Zorns“, aus dem auf Soziologie fokussierten transcript-Verlag versucht es anders. Es sticht aus den bisherigen Analysen des Phänomens durch differenzierte Argumentation heraus.

Die Autorin, Cornelia Koppetsch, beschäftigt sich schon lange und intensiv damit, was Rechtspopulismus ist, wie er in Erscheinung tritt und wo seine Gründe liegen. Bevor sie sich damit befasste, analysierte sie die neuen, von digitalen Technologien getragenen Globalisierungsschübe und ihren Folgen für die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, insbesondere die sogenannte gesellschaftliche Mitte.

Koppetsch macht gleich zu Anfang ihres Buches deutlich, dass sie die These vom gewissermaßen – bis auf rückständige mentale Verfassungen – anlasslosen Rechtspopulismus nicht teilt. Sie macht zudem deutlich, dass es für die Analyse des Phänomens wichtig ist, dass der/diejenige, die analysiert, offenlegt und reflektiert, wo er oder sie gesellschaftlich selbst verortet ist, weil dies zu einer gewissen Betriebsblindheit beiträgt, die gute Wissenschaftler selbst reflektieren.

Eine solche Verortung der Autoren oder Handelnden sollte inzwischen in der soziologischen Forschung selbstverständliche gute Praxis sein, wird aber in der Regel häufig unterlassen. Koppetsch beschreibt sich als aus dem linken, intellektuellen, akademischen und westdeutschen, großstädtischen Milieu stammend.

In den anschließenden Kapiteln analysiert die Autorin den Rechtspopulismus als nachvollziehbare Haltung von Menschen, die mehrdimensionale Verluste erlitten haben oder die solches befürchten: Da gibt es die einen (vorzugsweise die „alten weißen Männer“), die Statusverluste durch die Veränderungen im Familienbild (gleichgeschlechtliche Ehe) und die Emanzipation der Frauen, die dann auch als Konkurrentinnen um begehrte Positionen im Beruf auftreten, befürchten oder erlebt haben. Andere sehen sich durch die vollständige Entwertung ihrer beruflichen Fähigkeiten und den Verlust der Arbeit bedroht. Ursachen dafür waren bisher der Beitritt der DDR und ihre wirtschaftliche Abwicklung durch die Treuhand, in ganz Deutschland globalisierungsbedingte Auslagerungswellen. Nun folgt eine weitere, durch Digitalisierung und Ökologisierung verursachte Welle großer Veränderungen, die alte Qualifikationen obsolet machen und mindestens großes Hinzulernen erfordern. Für Ältere droht das Abdriften in die Chancenlosigkeit. Schließlich gibt es die Gruppe, die den zunehmenden Verlust religiöser und lokaler Bindungen, vor allem das Zunehmen anderer als christlicher religiöser Orientierungen an sich als Bedrohung ihrer Lebensweise und ihrer Werte begreifen. Häufig sind Einzelne von mehreren dieser Lagen betroffen. Für die meisten Anliegen dieser Gruppen, so Koppetsch, bildeten Geflüchtete aus muslimischen Ländern, die sich hier ansiedeln oder länger bleiben wollen, ein ideales Feindbild als Konkurrenten um Arbeit, Mittel und Aufmerksamkeit, weshalb sich die Rechte auch gerade ab dem Jahr 2015 deutlicher kristallisierte als bisher.

Nimmt man alle von negativen Effekten der derzeitig dominanten Entwicklungen betroffenen Gruppierungen zusammen, dann eint sie der reale Verlust von etwas: Vorherrschaft, Werte, Status und auch ganz reale materielle Lebenschancen. Genau diese Vielschichtigkeit ist laut Koppetsch die Bedingung für eine breitere politische Bewegung.

Um die beschriebenen Verluste und die sie nun verkörpernden politischen Haltungen und Forderungen habe man sich seitens derjenigen, die von den aktuellen Entwicklungen eher profitieren, zu wenig gekümmert. Mehr noch: Man habe die von ihnen Betroffenen schlicht nicht ernst genommen. Und dies, obwohl sie aus der subjektiven Perspektive tatsächlich etwas erleiden und die Gesellschaft zumindest das hätte erkennen und aufnehmen müssen, um dann Gegenstrategien zu entwickeln, ohne dabei ins Rückwärtsgewandte auszuweichen.

Ihre Gedanken dekliniert Koppetsch am Ende des Buches am Beispiel der Diskussionen um den Heimatbegriff durch, eines der interessantesten Kapitel des Buches: Hier die großstädtischen Kosmopoliten, die per Billigflug und Airbnb ständig in der Welt herumreisen und vor Ort eher virtuell anwesend sind. Da die weitgehend Daheimbleibenden, die für ihren sesshaften Lebensstil als borniert und wenig weltläufig betrachtet werden, obwohl sie die inzwischen bedrohlich ausgedünnten Sozialstrukturen gerade auf dem Land durch ehrenamtliche Arbeit in Parteien, Vereinen, Gewerkschaften, Kirchen oder anderen Gruppierungen aufrecht erhalten.

Man müsse, so versteht zumindest die Rezensentin Koppetsch, in Demokratien akzeptieren, dass sich Betroffenheiten wie die oben beschriebenen im ganz normalen politischen Wettstreit um die Neuverteilung von Macht und Gütern politisch artikulieren, zur Gruppen- und schließlich Parteibildung führen. Das ist der Weg, der in der Demokratie für solche Prozesse vorgegeben ist. Damit einher geht auch Koppetschs Vermutung, dass es sich bei den rechtspopulistischen Erscheinungen auf parlamentarischer und außerparlamentarischer Ebene mitnichten um eine Eintagsfliege handelt, sondern um ein mindestens mittelfristig bedeutsames Phänomen.

Allerdings rechtfertigt Koppetsch in keiner Weise die menschenfeindlichen oder gar gewaltsamen Umtriebe rechter Gruppierungen und vertritt auch nicht deren meist rückwärtsgewandte Lösungsstrategien. Sie gibt nur Denkanstöße, wie man Rechtspopulismus anders betrachten könnte, ohne zwangsläufig zu denselben politischen Schlussfolgerungen und Forderungen zu gelangen. Wer eine tief gehende Analyse des Rechtspopulismus sucht, ist hier richtig. An dem Text kann man sich reiben, und man muss ihm sicher nicht in jedem Detail zustimmen. Auf jeden Fall regt er dazu an, anders als in den üblichen Diskussionen im Freundes- oder Bekanntenkreis über das Phänomen „Rechtspopulismus“ zu sinnieren und rationales Denken an die Stelle von Dämonisierung zu setzen.

Bibliographie: Cornelia Koppetsch: Die Gesellschaft des Zorns. Rechtspopulismus im globalen Zeitalter. transcript-Verlag, Reihe Xtexte, 2019. Broschiert, 283 Seiten. ISBN 978-3-8376-4838-6

Anders wirtschaften – aber wie?

Wenn es darum geht, Lesefutter zum Thema „Anderes Wirtschften“ zu finden, hat man es im Moment einfach. Kaum sieht es aus als würde das globale Klima endgültig kippen, wird anscheinend auf vielen Schreibtischen fieberhaft an Gegenrezepten gedacht. Und von Verlagen Entsprechendes herausgegeben.

Im Folgenden geht es um zwei Beispiele aus dem Westendverlag. Der Autor Peter H. Grassmann, in seinem früheren Leben als Manager spezialisiert auf mondernste medizintechnische Geräte, war führend sowohl bei Siemens als auch bei Carl Zeiss tätig. Inzwischen ist er Autor und schreibt darüber, wie man die Wirtschaft regulieren sollte und warum das bisher nicht erfolgt ist (Lobbyismus, Gier, Politikversagen).

Er denkt auch über wichtige Trends der Gegenwart nach wie das Hin und Her zwischen Protektionismus und Freihandel, zwischen Nationalismus und überstaatlichen Zusammenhängen, zwischen Freiheit und Regulierung und würzt seine Betrachtungen mit Beispielen und Insider-Einsichten aus seinem Erleben als mächtiger Manager.

Zur Behebung der Misere einer machtlosen Politik, die sich von Unternehmen an der Nase herumführen und an der kurzen Leine hinterherzerren lässt (Arbeitsplätze!!!), empfiehlt er zum einen stärkere Regulierung und stärkere Institutionen bis hin zu einer Expertokratie wie er sie in China vermutet. Die Stellen über China irritieren. Anscheinend war Grassmann so fasziniert von der Gelegenheit, mit hochrangigen Chinesen gleichgestellt diskutieren zu dürfen, dass er dabei ganz vergessen hat, dass dieses Land derzeit ganz schlicht eine Diktatur ist, deren Führer sich vor noch nicht allzu langer Zeit hat auf ewig inaugurieren lassen, die den freien Meinungsaustausch verhindert und missliebige Elemente reihenweise einsperren lässt.

Das andere Lösungselement vermutet Grassmann in mehr Mitbestimmung des Volkes, sprich: mehr bindende Volksabstimmungen auf den unterschiedlichen Ebenen des demokratischen Staatswesens, unter anderem, um es schneller reaktionsfähig zu machen. Zudem möchte Grassmann auch das Wahlrecht ändern, damit mehr Fachkundige aller möglichen Bereiche und Nichtjuristen in die Parlamente geraten. Den Wahlkreisabgeordneten will er gar ganz abschaffen – damit bekomme die regionale Ebene zu viel Einfluss. Damit reiht er sich ein in die Reihe derer ein, die daran zweifeln, ob die repräsentative Demokratie in ihrer heutigen Form in der Lage ist, mit der Komplexität und Geschwindigkeit diverser gesellschaftlicher und technologischer Entwicklungen mitzuhalten.

Zur Regulierung der Wirtschaft empfiehlt Grassmann staatlich überwachte und regulierte Zertifikate und Label, und zwar nicht wie heute Tausende, die kaum noch jemand versteht, sondern einige wenige, die dann aber klare und staatlich überwachte Kriterien haben. Dazu sollen eine erneuerte Branchenethik, verpflichtende Fairtrade-Regeln, eine Kohlendioxid-Steuer, globale Mindestlöhne und einiges mehr treten. Ein interessanter Vorschlag ist ein reformiertes Erbrecht, das das Vererben von Firmen nur noch an qualifizierte Nachfolger aus der eigenen Familie gestattet, die das Unternehmen tatsächlich erfolgreich weiterführen wollen. Dadurch soll sich die Vermögensverteilung gleichmäßiger gestalten.

Während die einzelnen Kapitel anfangs stringent aufeinander aufbauen, wird das Buch im letzten Drittel streckenweise wirr. Das Durchregieren-Können des Wirtschaftsmanns scheint durch, so als könne man ein über Jahrzehnte gewachsenes System politischer Beziehungen im Hau-Ruck-Verfahren reformieren. Grassmann hätte besser daran getan, sich auf Vorschläge zur besseren Regulierung der Wirtschaft zu beschränken, statt eine allgemeine Demokratiekritik samt Bildungs- und Verfassungsreform anzugehen. Eine Nummer kleiner wäre hier mehr gewesen.

Aus einer anderen Ecke kommt Heike Holdinghausen: Die taz-Redakteurin befasst sich in ihrem Beruf schon seit Jahren mit dem umweltrelevanten Thema Rohstoffpolitik. Ihr Buch hat den ambitionierten Untertitel „Was jetzt für eine zweite ökologische Wende zu tun ist“. Holdinghausen analysiert in vier großen Abschnitten (Klimawandel/Artensterben, Energie, Mobilität, Agrar), wo die deutsche Umweltpolitik festhängt und warum es ihr nicht gelingt, ihre verpflichtenden Ziele halbwegs zu erreichen.

Im ersten Abschnitt werden auf rund 40 Seiten noch einmal die besorgniserregenden Befunde von Biologie und Klimaforschung aufgeführt. Holdinghaus beschreibt hier auch verschiedene technokratische Lösungsansätze wie Geoengineering und Genbanken und warum sie sie für problematisch hält. Ein weiteres Kapitel des ersten Abschnitts befasst sich mit dem Einfluss des Finanzwesens auf das Umweltverhalten.

Die drei Folgeabschnitte analysieren jeweils in mehreren Kapiteln die Themen Energie, Mobilität und Agrar im Detail. Sie bringen dabei auch Beispiele, die die Autorin für vorbildlich hält. Auf Wirtschaft und Markt mag sie sich dabei nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre nicht mehr so recht verlassen. Beispielhaft findet auch sie die Idee der Gemeinwohlökonomie. Das aktuelle politische Personal der Bundesrepublik begreift Holdinghausen nicht unbedingt als Hoffnungsschimmer. Sie setzt daher eher auf basisdemokratische Elemente einer- und Europa andererseits.

Das Buch ist gut geschrieben und liest sich flüssig. Die gedanklichen Linien werden konsequent zu Ende geführt. Wer sich in Umweltthemen auskennt, wird hier allerdings wenig Neues finden.

Bibliographie:

Peter H. Grassmann: Zähmt die Wirtschaft! Ohne bürgerlilche Einmischung werden wir die Gier nicht stoppen. Westend-Verlag, Frankfurt, 2019, broschiert, 255 Seiten, 22 Euro, ISBN 978-3-86489-248-6

Heike Holdinghausen: Uns Stinkt`s. Was jetzt für eine zweite ökologische Wende zu tun ist. Westend-Verlag, Frankfurt, 2019. broschiert, 238 Seiten, 20 Euro. ISBN 9-783864 892394.


Killer Wirtschaftswachstum

Die UN-Umweltorganisation UNEP hat in jahrelanger Arbeit den inzwischen sechsten Global Environmental Outlook (also einen weltweiten Bericht über den Zustand der Umwelt) erstellt, der anlässlich der Weltumweltkonferenz in Nairobi (findet gegenwärtig statt) präsentiert wird. Im Mitteplunkt stehen die Auswirkungen der Umweltverschmutzung auf die menschliche Gesundheit, gemessen an einhundert Krankheiten. Fazit: Geht es so weiter, wird in allen armen Regionen der Welt bald früher gestorben, und zwar aus Gründen der Verschmutzung.

Das liest sich teilweise ziemlich gruselig. Alle Umweltmedien werden mittlerweile massiv geschädigt, mit teilweise irreversiblen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit.

Das Wirtschaftswachstum, so jedenfalls eine Schlussfolgerung der Studie, steht angesichts dieser Befunde deutlich in der Kritik. Denn wenn zwar die Wirtschaft wächst, der größere Teil der Menschheit perspektivisch aber an den Folgen des Wachstums physisch leidet und Jahre früher stirbt, stellt sich außer für ausgemachte Zyniker natürlich die Frage, wozu das alles gut sein soll. Auch die Mär vom „grünen Wirtschaftswachstum“ scheint danach eher ins Reich der Fabel zu gehören.

Wer es genauer wissen will – hier ist der Link zur im Web frei verfügbaren Zusammenfassung. Leser*innen seien gewarnt: Unterhaltsam ist diese Lektüre nicht, es sei denn, man steht auf Horrorstories. https://wedocs.unep.org/bitstream/handle/20.500.11822/27652/GEO6SPM_EN.pdf?sequence=1&isAllowed=y

Marktwirtschaft reloaded – wieder mal?

Die Marktwirtschaft zu reparieren, damit sie ihre derzeitigen Schieflagen verliert – diese Idee kommt derzeit mit erhöhter Intensität in die Diskussion. Eine weitere Variante des Themas präsentieren Oliver Richters und Andreas Siemoneit, beide wirtschaftswissenschaftlich und als Physiker ausgebildet, nun in dem Buch „Marktwirtschaft reparieren“, das im Ökom-Verlag erschienen ist.

Dabei analysieren die Autoren zunächst die Frage, ob ein Wachstumszwang besteht und bejahen diese, kommen als Physiker aber zu dem Schluss, dass es in einer endlichen Welt kein unendliches Wachstum geben könne – auch kein „qualitatives“, da ressourcensparende technische Fortschritte durch Kompensationseffekte (Rebound) sofort wieder zunichte gemacht werden. Die Frage ist für die Autoren also, wie eine marktwirtschaftliche Ordnung, die nachhaltig wirtschaftet, aussehen kann. Denn zu Planwirtschaft oder Sozialismus wollen sie nicht zurück oder hin, da sie Marktwirtschaft im Prinzip für gut und die derzeitigen Erscheinungen für Deformierungen halten.

Das Modell, dass die beiden Autoren „ihrer“ idealen Marktwirtschaft zugrunde legen, ist ordoliberal. Sie berufen sich auf den 1950 verstorbenen ordoliberalen Ökonomen Walter Eucken, der der sogenannten Freiburger Schule angehörte und mit Alfred Müller-Armack und Ludwig Erhard das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft entwickelte.

Sodann definieren sie das Konzept und die Begriffe, die einer idealen Marktwirtschaft zugrundelegen, wobei sie als Grundübel leistungslose Einkommen (staatliche Altersrenten und Sozialtransfers sind damit nicht gemeint) ausmachen. Mit Hilfe grundlegender Begriffe wird der wirtschaftliche Kreislauf, wie er funktionieren sollte, beschrieben.

Marktwirtschaft: Woran sie krankt

Im nächsten großen Abschnitt des Buches werden in vier Kapiteln Bereiche beschrieben, die nach Meinung der Autoren in der heutigen Marktordnung nicht gut funktionieren. Dabei kommen zwei verbreitet kritisierte Aspekte zur Sprache, nämlich die Kreditschöpfung durch Geschäftsbanken und die Kapitalakkumulation bei Großunternehmen.

Zwei andere Aspekte werden eher selten herangezogen, um das wenig ideale Funktionieren marktwirtschaftlicher Prozesse – zumindest aus der Perspektive der Nachhaltigkeit – zu beleuchten: es handelt sich um uferlose Steigerungen des Bodenwertes und den Zusammenhang zwischen ständigem technologischem Innovationsdruck, Ressourcenverbrauch und Wachstumszwang.

Die Kritik an Innovation um jeden Preis wird vielen nicht schmecken, gilt sie doch heute als Rettung aus den meisten wirtschaftlichen Nöten. Die Autoren argumentieren allerdings, dass neue Technologien heute in erster Linie dazu dienen, menschliche Arbeit durch Ressourcenextraktion zu ersetzen. Letztere erhält aber kein Preisschild und daher ist Technik immer günstiger als Menschen zu beschäftigen.

Auch die Kritik an der Bodenordnung trifft sicher jeden Eigenheimbesitzer ins Herz, gilt doch die Bodenpreissteigerung als zuverässiges Halteseil mancher sonst noch so hanebüchener Kreditvereinbarungen für Eigenheimerwerber. Als hätte es 2008 und die Folgen nie gegeben.

Maßnahmen inklusive

Jedes Kapitel schließt mit politischen Maßnahmen, wie sich diese Problematik zugunsten eines ausgewogeneren und nachhaltigeren Wirtschaftsmodells aushebeln lässt. Dabei werden auch Einwände und Hindernisse diskutiert. Das alles hier aufzuführen, sprengt den Rahmen einer Rezension.

Das Buch schließt mit einem ausführlichen Literaturteil, aber nicht als Liste, sondern als Text. Dort beschreiben die Autoren kapitelweise geordnet die Lektüre, die sie beflügelt oder an der sie sich gerieben haben. Das ist hilfreich für diejenigen, die das Thema vertiefen möchten. Außerdem verweisen sie für weitere Recherchen auf die Seite www.marktwirtschaft-reparieren.de.

Fazit

Das Marktwirtschafts-Reparaturkonzept klingt schlüssig und gut durchdacht. Die meisten Einzelmaßnahmen sind schon einmal vorgeschlagen worden, aber hier macht es die Kombination. Am Ende soll wieder eine „Soziale Marktwirtschaft“, diesmal aber mit Nachhaltigkeitsfaktor stehen. Doch wäre es beileibe nicht das erste Mal, dass ein solches Konzept erdacht, aber nicht umgesetzt wird. Wie schreiben Oliver Richters und Andreas Siemoneit am Ende? „Aber vielleicht ist ‚der Mensch‘ ja nicht nur für den Sozialismus, sondern auch für die Marktwirtschaft zu schlecht.“ Hoffen wir, dass nicht.

Bibliographie: Oliver Richters, Andreas Siemoneit: Marktwirtschaft reparieren. Entwurf einer freiheitlichen, gerechten und nachhaltigen Utopie. Oekom-Verlag München 2019, broschiert,196 Seiten, einige s/w Abbildungen. ISBN 9-783962-380991, 17,79 Euro.

Einführung in die Holakratie

Wer heute Unternehmen führen muss, braucht ein System, das mit den ständigen Veränderungen in der Umwelt gut fertig wird. Ein Versuch in diese Richtung ist das Konzept der Holakratie, das etwa 2015 in dieser Form entstand.

Alle paar Jahre wird im Bereich Management-Strategien etwas angeblich vollkommen Neues erfunden. Sieht man näher hin, ist es meistens nicht ganz neu, sondern irgendwie schon mal dagewesen. So ist es auch bei der Holakratie (Holacracy). Erfunden hat sie Brian J. Robertson, ehemals Softwareentwickler, nun Holakratie-Promotor mit eigener Beratungsfirma (HolacracyOne). Die Grundlagen von Inhalt und Umsetzung beschreibt er in dem Buch „Holacracy -Ein revolutionäres Management-System für eine volatile Welt“, bereits 2015 erschienen beim Wirtschaftsverlag Vahlen. Dabei geht es in dem gut 200 Seiten schmalen Band zunächst ums Konzept, dann um seine wesentlichen Bestandteile und um eine Beschreibung der ersten Einführungsschritte.

Die besondere Stärke von Holakratie soll sein, dass das Unternehmen höchst sensibel auf alle internen und externen Veränderungen reagieren und sich flexibel und schnell anpassen kann. Dies sei in unsicheren, sehr veränderungsträchtigen Zeiten wie unseren besonders wichtig.

Das Verfahren geht auf den Ansatz der Soziokratie zurück, eine Managementmethodik, die vor allem für das gleichberechtigte und effektive Management von Non-Profit-Organisationen zugeschnitten ist. Die Begrifflichkeit Holakratie stützt sich auf den konservativen Intellektuellen Arthur Köstler. Ein Holon ist nach ihm ein Ganzes als Teil eines größeren Ganzen, wobei die im übergeordneten ganzen autonom zusammenwirkenden Holone zusammen eine Holarchie bilden.  

Verfassung mit Versionsnummer

Holakratie im Unternehmen stützt sich dabei auf eine sogenannte „Verfassung“. Ein Begriff, den man mit Stabilität und Unwandelbarkeit assoziiert. Doch Fehlanzeige: Die Holakratie-Verfassung findet sich nicht im Buch, sondern nur auf einer Website, und dort mittlerweile in Version 4.0. Die dazu erhältliche Druckversion, Kostenpunkt 14,95 Dollar, befindet sich bereits in Version 4.1.

Das wirft natürlich Fragen auf: Wie oft wird die Verfassung versioniert, wie stark unterscheiden sich die Versionen, und sollen Unternehmen ihre „Revolution“ der jeweils neuesten Version anpassen? Oder aber sollen sie sich für eine Version entscheiden und am späteren Fortschritt der Verfassung nicht mehr teilnehmen? Das tun schließlich auch viele Nutzer eines IT-Betriebssystems – diese Analogie stammt nicht von der Autorin dieser Rezension, sondern von Robertson, der ja aus der IT stammt. Sein zweites Steckenpferd scheint Biologie zu sein, denn auch Analogien aus diesem Sektor findet man gehäuft. Etwa greift Robertson ständig auf den Begriff Evolution zurück. Er übersieht dabei, dass dieses Phänomen in seiner ganzen Tiefe in der Biologie noch gar nicht richtig verstanden ist und dass man es deshalb vielleicht nicht für die Weiterentwicklung einer internen Unternehmensstruktur oder -managementpraxis verwenden sollte, auch wenn dies ständig geschieht.

Die Evolution der Verfassung etwa verwirrt, weil Robertson immer wieder darauf hinweist, wie wichtig das Einhalten dieser Verfassung möglichst in ihrer vollständigen Form ist, um von der Holakratie zu profitieren.

Jeder ist verantwortlich

Was ist das wichtigste Prinzip der Holakratie? Ganz einfach: Sie soll die Gestaltungsmacht der übergeordneten Managementprozesse von den Schultern des Management herunter- und einem anonymen, dem Sinn des Unternehmens dienenden „Prozess“ aufladen. Die Struktur des Prozesses soll dazu führen, dass alle Mitarbeiter als Erfüller der von ihnen übernommenen Rollen Eigenmacht und Autonomie zur Erfüllung ihrer jeweiligen Aufgaben erhalten sollen, in die das obere Management (das es in diesem Sinne nicht mehr wirklich gibt) operativ nicht eingreifen darf. Allen Betriebsangehörigen soll das Konzept helfen, persönliche Beziehungen von den Rollen, in denen sie für das Unternehmen tätig sind, zu trennen, um in dessen übergeordnetem Sinn tätig zu werden. Den Unternehmenssinn, ebenfalls ein zentraler Begriff,  definiert Robertson als die Antwort auf die Frage: „Was will die Organisation in der Welt sein, und was will die Welt von der Organisation?“

Strukturell ersetzt Holakratie die verbreitete Aufteilung von Firmen in Bereiche und Abteilungen und eine interne Führungshierarchie ersetzt Robertson durch sogenannte Kreise. Sie können sich untereinander überschneiden oder andere Kreise enthalten. Zu den Kreisen gehören diverse Rollenträger, die jeweils bestimmte Aufgaben („Verantwortlichkeiten“) für den Kreis zu erledigen und zu verantworten haben. Außerdem werden für jeden Kreis sogenannte Links und ein Schriftführer gebraucht. Links stellen sozusagen als Boten die Kommunikation zu anderen Kreisen her. Die Effizienz von Besprechungen und der gesamten Zusammenarbeit soll durch Holakratie gewaltig ansteigen. Allerdings klingt es, als würde zunächst vor allem die Menge an Besprechungen heftig anwachsen, denn jeder Kreis hat davon zwei Sorten: sogenannte Governance- und operative Meetings, deren strikt regelmäßige Durchführung laut Robertson notwendig ist, was jeweils nach rigiden Regeln erfolgt, die ebenfalls von Robertson erdacht und in der Verfassung festgehalten wurden. Robertson bekennt, dass die Einführung des Verfahrens unter anderem deswegen oft mitnichten reibungsfrei verläuft.

Probleme schließlich heißen in der Holakratie-Welt „Spannungen“. Sie sollen von jedem einzelnen Mitarbeiter „gespürt“ und in den Managementprozess eingebracht werden können. Das führt dann sehr schnell zu neuen Verantwortlichkeiten oder gar eine Änderung der Governance. Dadurch sollen potentiell schädliche oder reaktionsbedürftige Prozesse aus der Außen- und Innenwelt des Unternehmens rechtzeitig erkannt und behoben werden.

Totaler Anspruch

Es würde zu weit führen, hier jedes Detail des Holakratie-Konzepts aufzuführen, geht es doch um die Bewertung des Buches, nicht des Konzepts. Im Buch würde man sich vor allem mehr konkrete Umsetzungsbeispiele aus Unternehmen wünschen. Doch davon gibt es vor allem zwei: HolacracyOne, Robertsons eigenes Unternehmen, zum anderen den Online-Schuhhändler Zappos, zweifellos ein erfolgreiches und innovatives Unternehmen. Doch wie Holakratie bei einem klassischen Maschinenbauer, bei einer Taxifirma oder einem Energieunternehmen funktionieren soll, wie in einem großen Handwerksbetrieb oder bei einem öffentlichen Dienstleister, bleibt der Phantasie der Leserschaft überlassen. Ganz zu schweigen von regulierten Märkten, wo die Verantwortung von Führungspersonal schlicht nicht weitergegeben werden darf. Auch Checklisten für die Umsetzung des Konzeptes gibt es nicht. Zur Umsetzung wird dringend auf die Dienste entsprechend geschulter Berater verwiesen.

Immerhin gibt Robertson zu, dass das Konzept nicht zu jeder Firma passe – als Gründe dafür nennt er mangelnde Loslass-Bereitschaft von Führungskreis oder mittlerem Management sowie zu frühes Aufhören mit der Umsetzung.

Ein Trost für Skeptiker: Etwas widerwillig schreibt Robertson, man könne Holakratie auch in Teilbereichen des Unternehmens oder teilweise umsetzen. Doch gingen dann viele positive  Effekte verloren. Immerhin ließen sich mit Elementen von Holakratie auch bei unvollständiger Umsetzung betriebliche Rollen klarer definieren und Besprechungen effektiver gestalten, schreibt Robertson. Das wäre für einen Preis von 24,90 Euro ja bereits ein beträchtlicher Nutzen.

Entgegen dem im Buch mehrfach vertretenen Anspruch, letztlich mache vor allem das Holakratie-Ganze Sinn, glaubt die Autorin eher der auf der Rückseite abgedruckten Einschätzung von getabstract: „Das Buch liefert wertvolle Anregungen für eine moderne Unternehmensorganisation sowie praktische Tipps, etwa um Meetings effizient zu einem guten Ergebnis zu bringen.“ Ein alleinseligmachendes oder gar revolutionäres Konzept zur Aufhebung aller „Spannungen“ in fast jedem Unternehmen, das über loslassbereite Mitarbeiter und Ausdauer verfügt, liefert es dagegen sehr wahrscheinlich nicht.

Bibliographie: Brian J. Robertson: Holacracy. Ein revolutionäres Management-System für eine volatile Welt. Vahlen, München, 2015. 205 Seiten, einige s/w-Grafiken, Stichwortverzeichnis. ISBN 973-3-8006-5087-3, 24,90 Euro.

Temperaturen und CO2 steigen munter weiter

Monatlich fasst der Copernicus Climate Change Service (C3S) des Copernicus-Projekts der EU die weltweit aus aktuellen Boden-Wetterstationen gewonnenen sowie zusätzlich gemittelte Langfristdaten zu den Temperaturen in bestimmten sensiblen Regionen zu einem globalen, nach den neuesten Standards erstellten Wetter- und Klimamodell zusammen. Es bildet die weltweite Temperaturentwicklung ab. Anschließend visualisiert C3S die Erkenntnisse in anschaulichen Grafiken. Die Ergebnisse und Grafiken stehen im Internet und werden als per Mail abonnierbares Klimabulletin publiziert. Aus Satellitendaten werden zudem Daten zur weltweiten CO2-Emission gewonnen und ebenfalls veranschaulicht.

Fazit: Die CO2-Werte steigen weiter. Und – wen wundert es – natürlich auch die Temperaturen. Hier ging es im Dezember 2018 weltweit betrachtet, munter weiter aufwärts, auch wenn es in einigen wenigen Regionen etwas kälter war als im Durchschnitt. Teilweise wurden gerade in polnahen Regionen Werte sechs Grad über dem langjährigen Durchschnitt gemessen.

Eigentlich müssten im Angesicht dieser Daten jedem Politiker der Schweiß ausbrechen und es sollte schleunigst gehandelt werden….