Über den Zusammenhang von Wirtschaftswachstum, Klimawandel und Armut.

Naomi Klein, die bekannte amerikanische Autorin, die sich mit ihren Büchern, zum beispiel „No Logo!“ (Kritik an internationalen Großkonzernen) und „Die Schock-Strategie“ (Kritik an Großkonzernen, IWF und Weltbank) bisher vor allem mit fragen von Arm und Reich auseinandersetzte, hat nun den Bogen von ihrem angestammten Themengebiet zum Thema Klima geschlagen. Der Kapitalismus heutiger Prägung verursache, so ihre These in „Die Entscheidung. Kapitalismus vs Klima“ verursache nicht nur, dass sich die Schere zwischen arm und reich immer weiter öffne. Gleichzeitig sei er verhinderten die Wachstumszwänge des Systems die Klimawende, weil Kohle und Gas kurzfristig am günstigsten erschienen und die Wachstumsgesellschaft auf billige Energie angewiesen sei. Das ist an sich nicht neu, interessant ist jedoch, was die Autorin innerhalb der fünfjährigen Recherche dieses Buches beispielsweise über die gesundheitlichen Folgen des Fracking für die Bewohner der betreffenden Regionen in Erfahrung gebracht hat und berichtet. Auch was sie über ihre Teilnahme an einem Geoingeneering-Kongress erzählt (immerhin ein ganzes Kapitel ist dem Thema gewidmet) wirkt teils erschreckend, teils wie reine Satire.
Ihre Erkenntnis: Wer auch immer in welcher Funktion auch immer von der Industriegesellschaft profitiert, wird nur sehr wenig wahrscheinlich Großes zur Lösung der Klimafrage beitragen. Die Aktivitäten von Großmäzenen wie dem Virgin-Airlines-Gründer Bronson oder auch der Gates-Stiftung, die allesamt großtechnische Lösungen statt gesellschaftlichem Wandels nutzen wollen, um das Schlimmste noch zu verhindern, hält sie für wenig zielführend.
Die größte Hoffnung der Autorin sind die indigenen Völker und überhaupt jede Gruppe, die noch heute alltäglilch spürbar von eienr intakten ökologischen Umgebung abhängig ist, um ihren Lebensstil weiter verfolgen zu können. Ein Beispiel dafür sind die nordamerikansichen Indianer, die aufgrund der ihnen gewährten Landtitel nun teils erfolgreich gegen Teersandabbau oder Kohleprojekte in ihren Territorien klagen. In Bayern könnten eine ähnliche Rolle wohl die Bergbauern spielen, deren Territorium ja ebenfalls durch eine Mischung aus Tourismus, ruinöser Agrarökonomie und Klimawandel verwüstet wird. Würden sich solche Gruppen zusammentun mit anderen, die aus anderen Gründen Widerstand gegen die heutige Wirtschaftsweise leisten, hofft die Autorin, dann könnte daraus ausreichend Schwung entstehen, um endlich die globale Wende einzuleiten.
Klein vergleicht die Aufgabe, diesen herbeizuführen, mit dem Aufgeben des Sklavenhandels, der ebenfalls für viele ökonomische Einbußen bedeutet habe und nur mit einer moralischen (nicht einer ökonomischen) Argumentation wirksam zu bekämpfen war.
Kleins Recherchen enden 2014 – die Krise der deutschen Solarenergie kommt darin noch nicht vor, genau so wenig wie der Preisverfall beim Rohöl. Kurz: Auch die von ihr verzeichneten Hoffnungsschimmer wirken recht blass. Wer das Buch liest, gewinnt letztlich den Eindruck, dass nur ein Wunder oder aber die massenweise Überwindung des inneren Schweinehundes im Westen den Globus mittelfristig vor dem Kollaps bewahren kann.
Trotzdem ist es eine lohnende Lektüre, weil es auch erhellt, warum wir alle nicht hinsehen. Und Einsicht ist noch immer der erste Schritt zur Besserung – leider allzu oft auch der einzige, nach dem nicht mehr viel kommt als das Weiter So. Die Autorin selbst hatte übrigens zehn Jahre lang eine Gold-Vielfliegerkarte, hat also ihr eigenes Kohlendioxidsoll zigfach übererfüllt. Das macht ihre Argumentation nicht weniger valide, zeigt aber, dass man auch mit einem kritischen Bewusstsein absolut nicht davor gefeit ist, beim Thema Klima den Kopf in den Sand beziehungsweise über die Wolken zu strecken.

Bibliographie: Naomi Klein: Die entscheidung. Kapitalismus vs. Klima. S. Fischer Verlag Frankfurt 2015. Gebunden, 698 Seiten, umfangreiches Anmerkungsverzeichnis. ISBN 978-3-10-002231-8, 26,99 Euro

Rezension: Degrowth-Theorie vom Feinsten

Wer einmal kurz und präzise gefasst nachlesen möchte, was die Argumente dafür sind, dass sich die Wirtschaft, wenn sie nachhaltig werden will, vom Wachstumsparadigma verabschieden muss, ist mit dem Bändchen „Es reicht! Abrechnung mit dem Wachstumswahn“ des Franzosen Serge Latuche bestens bedient. Auf nur 200 DIN-A-6-Seiten und versehen mit einem Vorwort von einem der radikalsten Wachstumkritiker hierzulande, Niko Paech, legt Latouche, emeritierter Wirtschaftswissenschaftler dar, warum Wachstum als Ziel und Konzept dauerhaft auf einem endlichen Planeten nicht funktionieren kann. Dabei vermeidet es der Wissenschaftler, der sich neben Ökonomie auch noch mit Philosophie auskennt, sich in ideologischen Scharmützeln wie der Debatte Kapitalismus versus Sozialismus oder Kommunismus zu verstricken. Vielmehr argumentiert er konsequent mit den ökologischen, aber auch sozialen Grenzen, die das Wachstumskonzept erreicht oder überschreitet: Wenn fürs Wachstum alles zur Ware gemacht wird, wo ist dann der Platz für Menschlichkeit. Latouche arbeitet sich bei seinem Konzept der Wachstumsrücknahme an den Begriffen Reevaluation und Rekonzeptualisierung (unserer Werte), Restrukturierung (unseres Produktionssystem entsprechend dem neuen Wertesystem), Redistribution (des Reichtums weltweit), Relokalisierung (der Ökonomie), Reduktion (des Verbrauchs) und Recycling (von Gütern und Waren) entlang, was zeigt, dass er es für unmöglich hält, ein nachhaltiges Wirtschaftssystem ausschließlich durch den Einsatz neuer technologie zu schaffen. In der Tradition von Denkern wie Illich fordert er, ausgehend von lokalen Initiativen, den Aufbau einer neuen, auf Konvivalität fokussierten Gesellschaft, die Wachstum nicht mehr will, weil es dem zentralen Konzept einer solchen Gesellschaft, nämlich dem gedeihlichen menschlichen Miteinander, ab einem bestimmten Punkt im Wege steht, den westliche Zivilisationen längst überschritten haben. Interessant ist, wie Latouche Menschenrechte und Humanismus diskutiert: Weder möchte er eine Gesellschaft, in der der Mensch als Gipfel der Schöpfung betrachtet wird, noch argumentiert er wie radikale Tierrechtler, die gar keinen Unterschied zwischen Mensch und Tier mehr machen wollen. Vielmehr sucht er auch hier einen Mittelweg, der Lebewesen und auch Dinge wieder in ihrer Einmaligkeit und Existenzberechtigung würdigt, statt sie um des Gewinns und des Wachstums willen sinnlos auszurotten oder vorzeitig zu zerstören, damit neu gekauft werden muss oder weiter gewachsen werden kann.

Bibliographie: Serge Laltouche: Es reicht! Abrechnung mit dem Wachstumswahl. Mit einem Vorwort von Niko Paech. Gebunden, 200 Seiten, Oekom-Verlag, München 2015. ISBN9-783865-817075, 14,95 Euro.