So korrigiert man Lügen über die Energiewende

Wenn es Schwierigkeiten gibt, die Energiewende in Gang zu bringen, hängt das nicht nur an den durchaus real vorhandenen Problemen, sondern auch daran, dass von interessierten Kreisen immer wieder aus sehr nachvollziehbaren Gründen allerlei Halb- und Unwahrheiten über die Möglichkeiten, unser Energiesystem auf Erneuerbare umzustellen, verbreitet werden. Gleichzeitig bemühen sich aber immer schneller Fachleute, entsprechende Informationen richtigzustellen.

Ein besonders schönes Beispiel dafür findet sich auf Youtube: Der Volkswirt Hans-Werner Sinn, Leiter des ifo-Instituts, hielt im Jahr 2022 eine Weihnachtsvorlesung darüber, warum die Idee einer schnellen Energiewende illusionär sei und offenbarte dabei ein erhebliches Unverständnis über Grundtatsachen zu den Erneuerbaren. Kaum war der Vortrag gehalten, machten sich verschiedene Spezialisten für Energietechnik daran, die Fehler und verkürzten Darstellungen für jede Person nachvollziehbar zu korrigieren und diese Informationen übers Internet zugänglich zu machen. Eine der besten derartigen Darstellungen findet sich hier (https://www.youtube.com/watch?v=XSJk1I03cAo). Urheber ist Stefan Krauter, Professor für photovoltaische Energiesysteme. Noch schneller war der Channel Ingenieurkunst (https://www.youtube.com/watch?v=YCoXpkjaN08) , auf die sich auch Krauter in seiner Richtigstellung bezieht. Wer gern einmal sehen möchte, mit welchen Fake-Argumenten (insbesondere: die Dunkelflaute!) renommierte Wissenschaftler gegen die Energiewende anrennen und wie man solche Argumente wirksam durch nachvollziehbare Argumente entkräftet, dem oder der seien diese beiden Quellen wärmstens empfohlen.

Erde für alle – schön wär`s

Earth for All, ein neuer Bericht an den Club of Rome, basiert auf der Fortschreibung und Weiterentwicklung der Erdmodelle, die dem vor 50 Jahren erschienenen Mega-Bestseller „Grenzen des Wachstums“ zugrunde lagen. Sie wurden um Indikatoren zur sozialen und geschlechtlichen Gleichberechtigung verfeinert und erweitert. Das ist unter anderem wegen der gestiegenen Rechenleistungen heutiger Rechner möglich. Erste Erkenntnis: die Trends, die in „Grenzen des Wachstums“ prognostiziert wurden, sind weiterhin ungebrochen, allenfalls etwas in die Länge gezogen.

Anschließend an diese gut begründete Feststellung haben die Autoren mehrere Szenarien entwickelt – eines mit „Business as usual“, sprich: relativ halbherzigen Bemühungen, das Klima zu schützen, und eines, das den Klimawandel tatsächlich stoppen könnte. Allerdings erfordert es gravierende Veränderungen benötigt.

Dazu gibt es praktische Vorschläge, wie das alles zu erreichen wäre, und zwar für die Bereiche Landwirtschaft, soziale und Geschlechtergerechtigkeit sowie die Beseitigung von Armut und eine fossilfreie Energiewende.  Sie klingen an sich plausibel: Abschied von der industriellen Landwirtschaft, eine andere Besteuerung und groß angelegte Umverteilung – das alles sind Vorschläge, die man so oder ähnlich schon aus verschiedenen Ecken vernommen hat.

Betrachtet man sich allerdings die Realität mit Ukraine-Krieg und sonstigen Unruheherden, stellt sich die Frage: Wie um Himmels willen soll man dahin kommen? Wer schafft es, statt mit nochmalig verbesserten Rechnermodellen auszurechnen, wie viel näher wir dem Abgrund jeden Tag kommen, endlich im Sinn des Klimaschutzes wirksame Handlungen zu induzieren? Wie will man Menschen dazu motivieren, liebgewordene Privilegien wie Ferienflüge, Fleisch auf dem Teller etc. freiwillig und in Massen aufzugeben? Wie dazu, Panzer und anderes schweres Gerät stehen zu lassen und statt dessen Erneuerbare-Energien-Anlagen zu bauen, so lange diktatorische Berserker wie Putin die Welt verwüsten?

Und wie bauen wir bei ernsthaftem Klimaschutz unsere Industriegesellschaft so um, insbesondere dass die Rentensysteme nicht komplett auseinanderbrechen? Ich bin mit fast 65 in einem Alter, in dem sich dieses Thema zur individuellen Schicksalsfrage der nächsten Jahre entwickeln könnte, denn ich habe zwar fleißig gespart und gezahlt, weiß aber, dass es für die Jüngeren kaum vorstellbar ist, in eine Kasse zu zahlen, aus der sie selbst kaum noch was bekommen. Nur: Was soll ich in meinem Alter noch an der Situation ändern?

Die aktuelle politische Großwetterlage jedenfalls führt zu vielem, ganz bestimmt aber nicht zu weltweiten Energieeinsparungen oder einer nachhaltigen Landwirtschaft. Kurz: Man kann schon ins Grübeln geraten. Denn dass nun plötzlich alle an einem Strang ziehen, um unsere Welt für die kommenden Generationen zu retten, davon ist weit und breit aber auch gar nichts zu entdecken.

Fortschritten an einer Stelle stehen bedrückende Negativentwicklungen an anderer gegenüber, und die Zeit verrinnt schneller als der Kleber der Aktivisten der „Letzten Generation“ auf der Straße oder an  Bilderrahmen trocknen kann. Kurz, die Lage ist mehr oder weniger hoffnungslos, aber kaum noch ernst zu nehmen, wenn man nicht verzweifeln will. Vielleicht sind trotz allem deshalb Bücher wie Earth for All besonders nötig, zeigen sie doch, dass es immerhin möglich wäre, etwas zu tun, wenn nur irgendjemand ernsthaft wollte.

Bibliographie: Der neue Bericht an den Club of Rome: Earth for All. Ein Survivalguide für unseren Planeten. Softcover, 256 Seiten. Oekom-Verlag, München, 2022. Übersetzt von Barbara Steckhan und Rita Seuß. ISBN 978-3-96238-387-9. 25 Euro.

Übrigens: Bücher kauft man in der nächstgelegenen oder der eigenen Lieblings-Buchhandlung. Die ist bestimmt nicht weit weg, sorgt für Arbeitsplätze und belebt das Viertel (im Gegensatz zu Amazon, das nur den Lieferverkehr belebt).