Liebe Leser*Innen, dies ist der letzte Blog vor den Sommerferien (bis Oktober) und der erste gegenderte, dem noch viele weitere folgen werden. Leider hilft das Gendern nicht gegen den Klimawandel und Wissenschaftsungläubige, das könnte höchstens ein kleines Buch schaffen, das ich heute empfehlen möchte.

Geschrieben haben es der aus dem Fernsehen bekannte Physiker Harald Lesch, der ja ziemlich gut erklären kann, und Klaus Kamphausen. In dem nur 125 groß gedruckte DIN-A-6-Seiten langen Bändchen sprechen sie über die Natur von Geistes- und Naturwissenschaften, warum sie sich derzeit oder oft missverstehen und was die Aufgabe der Politik ist (nämlich zwischen beiden zu vermitteln und auf Basis der naturwissenschaftlichen Fakten durch breite Diskussion entwickelte gesellschaftliche Wertentscheidungen in mehrheitsfähige Politiken umzusetzen).

Sehr schön klar erklärt Lesch den Unterschied zwischen natur- und geisteswissenschaftlicher Vorgehensweise. Naturwissenschaftler betrachten Phänomene, überlegen sich einen Erklärungsansatz, denken sich messbare Experimente aus, um diesen Ansatz mit Daten zu bestätigen, experimentieren, zweifeln die Ergebnisse der Experimente an, experimentieren wieder, und wenn sich immer wieder dieselben Resultate aus denselben Experimenten zur selben Theorie ergeben oder aber ergänzende Ergebnisse aus ähnlichen Experimenten kommen sie zu dem Schluss, dass eine Theorie oder eine Annahme bestätigt ist und somit dem gesicherte Faktenwissen hinzugefügt werden kann. Kommen sie nicht zu dem Ergebnis, verwerfen sie die Theorie und denken sich eine neue aus. Und dann dasselbe von vorn. Sehr oft aber geschieht dies auch nicht, weil es nicht genügend experimentelle Befunde gibt, die eine neue Theorie bestätigen.

Dass es ein oder zwei Abweichler*Innen gibt, die irgendwas behaupten, zählt da nicht, es sei denn, sie begäben sich auf den mühevollen Experimentierweg, bis ihre Beweise (Echte Daten aus Echten Experimenten!) schwerer wiegen als das von der bisherigen Mehrheit vorgelegten und ihre eigene Theorie bestätigen (so sie denn eine haben). Mit politischen Mehrheiten und Meinungsfreiheit hat also dieses Verfahren überhaupt nichts zu tun. Es geht nicht um Meinen und Entscheiden. Es geht um Wissen und darum, durch sklavische Methodentreue (das Experiment!) zu verhindern, dass Falsches als wahr angenommen wird und sich die spätere gesellschaftliche Meinungsbildung (siehe unten) auf Unsinn oder falschen Annahmen aufbaut.

Deshalb zweifelt heute niemand mehr daran, dass der Apfel wegen der Schwerkraft vom Baum fällt, und deshalb sollte dies auch niemand an Realität des Klimawandels und seiner Verursachung durch die Menschen tun. Und deshalb ändern sich gerade wissenschaftliche Erkenntnisse bei neuen Phänomenen nahezu täglich (hallo, Corona!). Denn es macht ja gerade die Wissenschaftlichkeit aus, nicht einfach zu behaupten, man wisse etwas, sondern Schritt für Schritt im Experiment zu lernen.

Geisteswissenschaftler*Innen machen es anders. Sie denken darüber nach, was die menschliche Gesellschaft zusammenhält, wie sie funktioniert, welche Werte sie hat oder haben sollte. Wie die Autoren schreiben, liefern sie eine Innenperspektive der Gesellschaft. Keine Fakten über die natürliche Welt, die die Gesellschaft umgibt. Dafür sind die Naturwissenschaften zuständig, weil sie genau dafür Methoden entwickelt haben.

Die Geisteswissenschaftler*Innen reflektieren also unter anderem darüber, welche Werte die Gesellschaft hat. Und wenden diese Werte auf die Erkenntnisse von Naturwissenschaft an. Hat also die Naturwissenschaft zweifelsfrei etwas ermittelt, kann sich die Gesellschaftswissenschaft ihre Meinung zum Umgang damit bilden – entlang der gesellschaftlichen Werte, und hier fängt die kontroverse Diskussion an. Sie fängt nicht dabei an zu diskutieren, ob es etwa ein Virus oder den menschengemachten Klimawandel gibt. Denn das ist (siehe oben) zweifelsfrei erwiesen.

Und die Politik? Die steht zwischen diesen beiden Welten und setzt die Ergebnisse von durch Diskurs gebildeten Wertentscheidungen in Handeln um. Wenn alle drei Bereiche miteinander reden – die Naturwissenschaftler*Innen über ihre Ergebnisse, die Gesellschaftswissenschaftler*Innen darüber, was diese Erkenntnisse im Licht gesellschaftlicher Normen und Werte bedeuten und die Politik darüber, welche Werthaltungen ihren Entscheidungen zugrunde liegen, schließt sich der Kreis. Bei Wahlen wählt man dann am besten diejenige Gruppierung, die den eigenen Wertvorstellungen am nächsten ist UND zweifelsfrei erwiesene Fakten anerkennt, also zum Beispiel nicht behauptet, Corona wäre eine Erfindung und der Klimawandel eine Folge von Sonnenflecken oder überhaupt unwichtig.

Weil es solche Zusammenhänge viel besser erklärt als ich das in der obigen Kurzfassung kann, ist das Buch uneingeschränkt allen zu empfehlen, die sich schon immer gewundert haben, warum Gespräche zwischen Geistes- und Naturwissenschaft manchmal so schwierig sind und warum Politik so ist wie sie ist.

Und sonst? Das neue Klimaschutzgesetz ist durch (ein Sieg für Fridays for Future), ALDI und REWE verabschieden sich ganz offiziell vom Quälfleisch (ein Wunder), was wohl mehr bewirken wird als die Einigung über die Landwirtschaftsförderung der EU (ein fauler Kompromiss)  wenn auch erst bis 2030. Es gab in Tschechien einen Tornado (für Klimawandel-Skeptiker ein Wunder oder ein Zufall, für die Klimawissenschaft zu erwarten) und eine Gewitterfront jagt die nächste (siehe vorherige Klammer). Die Bundestagswahlen nahen – ihre Ergebnisse und die sich daran anschließende Politik werden zeigen, wie ernst es Deutschland wirklich mit der Einhaltung der Klimaziele ist. Die Masken fallen, die Delta-Variante naht. Und Ungarns Regierung offenbart, dass sie Europa anscheinend nur als unerschöpfliche Geldquelle betrachtet, ansonsten aber mit den hiesigen Werthaltungen nichts zu tun haben will.

Bibliographie: Harald Lesch, Klaus Kamphausen: Denkt Mit! Wie uns Wissenschaft in Krisenzeiten helfen kann. Gebunden, DIN A 6, 127 Seiten. Penguin Verlag, München, 1. Aufl. 2021. ISBN 978-3-328-60221-7, 14 Euro.

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