Vor lauter Corona gerät die Ökologie als Thema etwas unter die Räder. Das ist traurig und wird im März revidiert. Es ist nämlich etwas geschehen. Die OECD hat anscheinend begriffen, das schonlange diskutiert wird. Dass nämlich das rein wachstumsausgerichtete ökonomisch Modell an seine Grenzen stößt und durch etwas anderes ersetzt werden muss. Der von der Heinrich-Böll-Stiftung ins Deutsche übersetzte Bericht „Jenseits des Wachstums – auf dem Weg zu einem neuen ökonomischen Ansatz“ fordert, dass sich Wirtschaft neue Ziele setzen muss als das bloße Mehr. Wachstum dürfe durchaus auch sein, die Wirtschaft müsse sich aber am Wohlbefinden des Menschen und der gesamten Gesellschaft ausrichten. Man glaubt es kaum!

Das ist großartig, wenn nur die Diskussion inzwischen nicht schon den nächsten Schritt gegangen wäre. Aus der Einsicht heraus, dass die Menschheit ihr Wohlbefinden dauerhaft wohl nur erhalten kann, wenn sie auch der übrigen Ökosphäre wesentlich mehr Raum zum (Über)leben lässt als heute, fordern inzwischen namhafte WissenschaftlerInnen, die Erde zu weit größeren Teilen als bisher vom menschlichen Einfluss zu befreien und der Wildnis zurückzugeben. Nur dann nämlich habe ökologische Vielfalt und habe die Evolution außerhalb der Virensphäre (die evolutioniert ja auch unter aktuellen Anthropozän-Bedingungen prächtig, wie wir derzeit jeden Tag neu erfahren) eine reale Chance. Dagegen lässt sich allerdings einwenden, dass die ökologische Vielfalt in Europa angeblich niemals so groß war wie im 18. Jahrhundert. Nur gab es damals sehr viel weniger Menschen, weshalb sich dieser Zustand wohl kaum zurückholen lässt. Wie die Menschheit geschrumpft werden soll, ohne ihre Freiheiten hefti zu beschneiden, wird meist nur zaghaft angeschnitten – meist läuft es auf einen freiwilligen Vermehrungsverzicht oder nur ein Kind für viele Menschen und ein, zwei Generationen hinaus. Wer keine Kinder hat, wird sagen, tue ich doch sowieso, der Rest wird das eher für eine verrückte, unmenschliche oder kranke Idee halten. Besser als Kriege, Hungersnöte und Epidemien ist sie aber allemal. Und es ist jetzt wirklich spannend zu beobachten, ob, wann und wie sich die OECD auch diesen Gedanken einverleibt. Meine Schätzung: Unter drei Jahrzehnten ist da nichts zu machen.

Ein wichtiges Thema ist nämlich im Moment das Ergrünen der Städte. Zwei Ausstellungen beschäftigen sich im derzeit mit diesem Thema – mangels Kontakterlaubnis wie so ziemlich alles virtuell.

In Frankfurt hat das Deutsche Architekturmuseum eine große Schau ausgerichtet. „Einfach Grün – Greening the City“ befasst sich vor allem damit, wie Gebäude begrünt werden können. Dafür zeigt die Ausstellung prominente und weniger prominente Beispiele. Außerdem werden konkret Teile des eigenen Gebäudes nach unterschiedlichen Methoden begrünt – einige bisher wenig genutzte Nischen der Ausstellungsräume mit Außenlicht. Leider kann man das alles vorläufig nicht live begutachten, doch auch der digitale Rundgang auf der Website gibt wertvolle Informationen. Dazu kommen diverse Interviews – etwa zwischen fünf und fünfzehn Minuten lang – mit den Architekten berühmter begrünter Gebäude. Sie bieten einen interessanten Einblick in deren individuelle Ideen und Konzepte, der über das hinausgehet, was Texte und Bilder leisten können. Für selbst Begrünungswillige am Interessantesten ist aber der Katalog, denn er liefert eine Fülle praxisrelevante Informationen darüber, was Begrünung bringt, welche Konzepte es gibt, welche Pflanzen sich eignen, welche Kosten und Pflegeaufwände zu erwarten sind und welche potentiellen Probleme zu berücksichtigen und möglichst schon beim Konzipieren zu vermeiden sind.

Dem hessischen Flüsschen Modau hat der auch in der universitären Journalistenausbildung tätige Umweltjournalist Torsten Schäfer ein literarisch-populärwissenschaftliches Denkmal gesetzt. Er recherchierte im Hitzesommer 2018 auf Streifzügen entlang dem Fluss seiner Kindheit dessen Befinden, Geschichte, Gebräuche und Anwohner – vom Quellgebiet der Modau und ihrer Zuflüsse bis zur Mündung. Dabei kristallisiert sich ein facettenreiches Bild der Situation heraus, der sich heute alle natürlichen Gewässer in Deutschland gegenübersehen: Romantisierung und Mystifizierung einer-, gnadenlose Nutzungskonkurrenz durch verschiedene wirtschaftliche Interessen andererseits, die gravierenden Auswirkungen des Klimawandels, daneben die oft mühseligen Versuche von Biologen, Naturschützern oder Forstleuten, am Fluss bewahrend-naturpflegerisch tätig zu werden. Dazu kommen aktive Laien, denen es schlicht um die Erhaltung des Landschaftsbildes und einige seiner Elemente geht, wenn sie in ihrer Freizeit beispielsweise vertrocknenden Brunnen und Quellen wieder zu Wasser verhelfen. Schäfer beobachtet präzise und scheut sich nicht, auch eigene Gefühle und Befindlichkeiten zu benennen. Die kurzen Textabschnitte laden zum langsamen, gründlichen Lesen ein. Die sorgfältige Umschlaggestaltung und in den Text eingestreute Zeichnungen machen den Text auch zu einem bibliophilen Genuss.

Doch an Corona komme ich auch im März nicht vorbei. Diesmal geht es um zwei weitere Bände aus der Interviewreihe „rausgeblickt“, die von der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegeben wird. Von zweien war bereits im Februar die Rede. Im Band „Pandemie und Geschlechter“ spricht Alexander Behrens, Verlagsleiter des herausgebenden Dietz-Verlages, mit der freien Journalistin und Chefredakteurin des Online-Magazins „Edition F“ darüber, was Corona mit den Geschlechterverhältnissen anstellt. Fazit: Viel Rückschritt, aber auch die Chance, Dinge neu zu regeln. Etwas irritierend bei diesem Gespräch ist, dass die beiden Beteiligten streckenweise aneinander vorbei zu reden scheinen oder zumindest Probleme haben, die Position des jeweils anderen komplett nachzuvollziehen. Ein typisches Mann-Frau-Problem?

Das zweite Interview aus der Reihe – Thema: Pandemie und Gesellschaft – führt Christian Krell (siehe Februar) mit  Thema ist, ausreichend Anlass, lange Interviews mit der Sozialdemokratie nahe- oder zumindest nicht allzu fern stehenden DenkerInnen zu brennenden Themen der Zeit zu führen. Die verschriftlichten Gespräche erscheinen nun Schritt für Schritt als etwa 70seitiges Bändchen im Dietz-Verlag in der Reihe „rausgeblickt“. Führt Christian Krell (siehe Februar) mit Heinz Bude, an der Universität Kassel Professor für Makrosoziologie. In dem Gespräch geht es vor allem um einen neuen Solidaritätsbegriff, den man, so meint Bude, heute jedenfalls in den westlichen Industriegesellschaften nicht mehr aus dem Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit und dem Abwehr-Zusammenschluss der Arbeiterschaft heraus begründen könne. Vielmehr liege die Begründung in der Einsicht in die Verletzlichkeit des Einzelnen, wie sie gerade die Corona-Pandemie vermittle. Die sich solidarisierenden Einzelnen, werden hier zueinander und letztlich auch zum Staat auf Augenhöhe gedacht, was andere Formen des gleichberechtigten Gebens und Nehmens bedingt. Bude spricht sich dafür aus, Eigentum an Grund und Boden als prinzipiell begrenzter Ressource abzuschaffen und durch Erbpacht-ähnliche Konstrukte zu ersetzen. Das ist ein interessanter Gedanke, der gerade rechtzeitig zur Hamburger Einfamilienhaus-Debatte kommt.

Zeigt doch jeder dieser übermäßig warmen Februartage, dass es mit den Veränderungen zu mehr Ökologie eigentlich gar nicht schnell genug gehen kann. Und dass diese Veränderungen sich mitnichten ausschließlich auf den Einsatz neuer, umweltschonender Technologien werden beschränken können. Vielmehr sind auch gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen nötig, wenn die Menschheit langfristig zur Ökosphäre kompatibel werden soll.  

Und nicht zuletzt: Bücher kauft man in der nächstgelegenen oder einer anderen Buchhandlung. Das schafft Arbeitsplätze in der Nähe und ist zudem meistens ein Vergnügen. Und wer es selbst nicht schafft, bestellt dort und lässt sich das Werk schicken. Geht genauso schnell wie bei… na, Sie wissen schon!

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