Die folgende Rezension beschreibt nicht direkt ein Wirtschaftsthema, befasst sich aber sehr wohl mit einigen Auswirkungen des gegenwärtigen Globalisierungstrends, der allerdings nicht nur die Wirtschaft betrifft. Woher der derzeitige Rechtspopulismus kommt, wird oft und häufig extrem eindimensional diskutiert. Viele der Diskussionen zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Gründe für entsprechende Geisteshaltungen vor allem in Aufklärungsdefiziten, Bildungsmängeln oder einem nicht bewältigten Dritten Reich sehen. Ein inzwischen zum „Buch des Monats“ ausgerufenes Werk „Die Gesellschaft des Zorns“, aus dem auf Soziologie fokussierten transcript-Verlag versucht es anders. Es sticht aus den bisherigen Analysen des Phänomens durch differenzierte Argumentation heraus.

Die Autorin, Cornelia Koppetsch, beschäftigt sich schon lange und intensiv damit, was Rechtspopulismus ist, wie er in Erscheinung tritt und wo seine Gründe liegen. Bevor sie sich damit befasste, analysierte sie die neuen, von digitalen Technologien getragenen Globalisierungsschübe und ihren Folgen für die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, insbesondere die sogenannte gesellschaftliche Mitte.

Koppetsch macht gleich zu Anfang ihres Buches deutlich, dass sie die These vom gewissermaßen – bis auf rückständige mentale Verfassungen – anlasslosen Rechtspopulismus nicht teilt. Sie macht zudem deutlich, dass es für die Analyse des Phänomens wichtig ist, dass der/diejenige, die analysiert, offenlegt und reflektiert, wo er oder sie gesellschaftlich selbst verortet ist, weil dies zu einer gewissen Betriebsblindheit beiträgt, die gute Wissenschaftler selbst reflektieren.

Eine solche Verortung der Autoren oder Handelnden sollte inzwischen in der soziologischen Forschung selbstverständliche gute Praxis sein, wird aber in der Regel häufig unterlassen. Koppetsch beschreibt sich als aus dem linken, intellektuellen, akademischen und westdeutschen, großstädtischen Milieu stammend.

In den anschließenden Kapiteln analysiert die Autorin den Rechtspopulismus als nachvollziehbare Haltung von Menschen, die mehrdimensionale Verluste erlitten haben oder die solches befürchten: Da gibt es die einen (vorzugsweise die „alten weißen Männer“), die Statusverluste durch die Veränderungen im Familienbild (gleichgeschlechtliche Ehe) und die Emanzipation der Frauen, die dann auch als Konkurrentinnen um begehrte Positionen im Beruf auftreten, befürchten oder erlebt haben. Andere sehen sich durch die vollständige Entwertung ihrer beruflichen Fähigkeiten und den Verlust der Arbeit bedroht. Ursachen dafür waren bisher der Beitritt der DDR und ihre wirtschaftliche Abwicklung durch die Treuhand, in ganz Deutschland globalisierungsbedingte Auslagerungswellen. Nun folgt eine weitere, durch Digitalisierung und Ökologisierung verursachte Welle großer Veränderungen, die alte Qualifikationen obsolet machen und mindestens großes Hinzulernen erfordern. Für Ältere droht das Abdriften in die Chancenlosigkeit. Schließlich gibt es die Gruppe, die den zunehmenden Verlust religiöser und lokaler Bindungen, vor allem das Zunehmen anderer als christlicher religiöser Orientierungen an sich als Bedrohung ihrer Lebensweise und ihrer Werte begreifen. Häufig sind Einzelne von mehreren dieser Lagen betroffen. Für die meisten Anliegen dieser Gruppen, so Koppetsch, bildeten Geflüchtete aus muslimischen Ländern, die sich hier ansiedeln oder länger bleiben wollen, ein ideales Feindbild als Konkurrenten um Arbeit, Mittel und Aufmerksamkeit, weshalb sich die Rechte auch gerade ab dem Jahr 2015 deutlicher kristallisierte als bisher.

Nimmt man alle von negativen Effekten der derzeitig dominanten Entwicklungen betroffenen Gruppierungen zusammen, dann eint sie der reale Verlust von etwas: Vorherrschaft, Werte, Status und auch ganz reale materielle Lebenschancen. Genau diese Vielschichtigkeit ist laut Koppetsch die Bedingung für eine breitere politische Bewegung.

Um die beschriebenen Verluste und die sie nun verkörpernden politischen Haltungen und Forderungen habe man sich seitens derjenigen, die von den aktuellen Entwicklungen eher profitieren, zu wenig gekümmert. Mehr noch: Man habe die von ihnen Betroffenen schlicht nicht ernst genommen. Und dies, obwohl sie aus der subjektiven Perspektive tatsächlich etwas erleiden und die Gesellschaft zumindest das hätte erkennen und aufnehmen müssen, um dann Gegenstrategien zu entwickeln, ohne dabei ins Rückwärtsgewandte auszuweichen.

Ihre Gedanken dekliniert Koppetsch am Ende des Buches am Beispiel der Diskussionen um den Heimatbegriff durch, eines der interessantesten Kapitel des Buches: Hier die großstädtischen Kosmopoliten, die per Billigflug und Airbnb ständig in der Welt herumreisen und vor Ort eher virtuell anwesend sind. Da die weitgehend Daheimbleibenden, die für ihren sesshaften Lebensstil als borniert und wenig weltläufig betrachtet werden, obwohl sie die inzwischen bedrohlich ausgedünnten Sozialstrukturen gerade auf dem Land durch ehrenamtliche Arbeit in Parteien, Vereinen, Gewerkschaften, Kirchen oder anderen Gruppierungen aufrecht erhalten.

Man müsse, so versteht zumindest die Rezensentin Koppetsch, in Demokratien akzeptieren, dass sich Betroffenheiten wie die oben beschriebenen im ganz normalen politischen Wettstreit um die Neuverteilung von Macht und Gütern politisch artikulieren, zur Gruppen- und schließlich Parteibildung führen. Das ist der Weg, der in der Demokratie für solche Prozesse vorgegeben ist. Damit einher geht auch Koppetschs Vermutung, dass es sich bei den rechtspopulistischen Erscheinungen auf parlamentarischer und außerparlamentarischer Ebene mitnichten um eine Eintagsfliege handelt, sondern um ein mindestens mittelfristig bedeutsames Phänomen.

Allerdings rechtfertigt Koppetsch in keiner Weise die menschenfeindlichen oder gar gewaltsamen Umtriebe rechter Gruppierungen und vertritt auch nicht deren meist rückwärtsgewandte Lösungsstrategien. Sie gibt nur Denkanstöße, wie man Rechtspopulismus anders betrachten könnte, ohne zwangsläufig zu denselben politischen Schlussfolgerungen und Forderungen zu gelangen. Wer eine tief gehende Analyse des Rechtspopulismus sucht, ist hier richtig. An dem Text kann man sich reiben, und man muss ihm sicher nicht in jedem Detail zustimmen. Auf jeden Fall regt er dazu an, anders als in den üblichen Diskussionen im Freundes- oder Bekanntenkreis über das Phänomen „Rechtspopulismus“ zu sinnieren und rationales Denken an die Stelle von Dämonisierung zu setzen.

Bibliographie: Cornelia Koppetsch: Die Gesellschaft des Zorns. Rechtspopulismus im globalen Zeitalter. transcript-Verlag, Reihe Xtexte, 2019. Broschiert, 283 Seiten. ISBN 978-3-8376-4838-6

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