Bibliographie: Wolfgang Schmidbauer: Raubbau an der Seele. Psychogramm einer überforderten Gesellschaft. Gebunden, 247 Seiten, ausführliches Stichwortverzeichnis. Oekom-Verlag München 2017, 22 Euro, ISBN 9-783960-060093.

Schon seit mehr als vierzig Jahren befasst sich der Psychologe Wolfgang Schmidbauer mit dem Einfluss der Konsumgesellschaft auf die Menschen. 1972 erschien „Homo Consumens. Der Kult des Überflusses.“ (nähere Info dazu z.B. hier ). In seiner aktuellen Publikation nimmt Schmidbauer diesen Faden wieder auf und passt seine Thesen der Gegenwart an. Wir leben in einer Welt, in der allgegenwärtige Vernetzung, soziale Medien, Online-Datingdienste und Werbung allenthalben das Bild prägen. Die Befriedigung physischer Bedürfnisse, mit der Menschen einmal quasi unaufhörlich beschäftigt waren, spielt für die meisten Bewohner industrialisierter Länder keine Rolle mehr. An ihre Stelle trat spätestens in den 50ern die Bedürfniserzeugung durch Werbung und der erwünschte Konsum möglichst vieler Güter oder Dienstleistungen, um das Wirtschaftswachstum zu steigern. Schmidbauer sieht den wichtigsten Motor des Überkonsums im Vergleichen mit anderen und dem Erwerb von Gütern aus Statusgründen, letzten Endes angeheizt durch die inhärenten Wachstumszwänge des marktwirtschaftlichen Systems. Denn langfristig stabil bleibt die kapitalistische Ökonomie nach heutiger Kenntnis nur dann sicher, wenn sie wächst, und auch aus Krisen hilft nur weiteres Wachstum, das einhergeht mit Konsum. Schmidbauer geht davon aus, dass sich dieser nicht, wie gern behauptet, vom Verbrauch physischer Ressourcen abkoppeln lässt und so letztlich zur Zerstörung der Ressourcenbasis führt. Die allgegenwärtigen Echtzeit- und sozialen Medien sowie die Werbeberieselung trügen dazu bei, dass der Vergleichsmotor, der den Konsum laut Schmidbauer antreibe, immer schneller läuft.

Die psychischen Auswirkungen der künstlich erzeugten und aufrecht erhaltenen Erwartung, es müsse alles jederzeit für jeden in beliebiger Menge und an jedem Ort verfügbar sein, liegen laut Schmidbauer in Versagensängsten und Depressionen. Denn natürlich ist in der Realität nicht immer alles „da“ – für viele einfach, weil das Geld fehlt. Und andererseits verliert das gerade Konsumierte ruck-zuck seinen Reiz, und es muss von Neuem konsumiert und zuvor verdient werden, auch das in immer schnellerem Rhythmus, der immer mehr Menschen überfordere.

Um die deswegen allgegenwärtigen Ängste und Depressionen der nimmersatten Sofortkonsumierer zu verdrängen, benutze man, so Schmidbauer, vor allem Antidepressiva, die aber das gefühlsmäßige Gleichgewicht durch einen chemischen Eingriff ins Gehirn dauerhaft veränderten und gewissermaßen die Kritikbereitschaft und -fähigkeit an den herrschenden Verhältnissen einschläferten. Mechanistische neurobiologische Modelle ersetzen die tiefgehende psychologische Analyse. Dabei würde man die Sinnhaftigkeit und den Wahrheitsgehalt schon wieder stark relativieren oder sie seien gar widerlegt. Tiefgehende und sinnhafte Kommunikation zwischen Menschen werde durch den allgegenwärtigen Bildschirm – bis hin zur medienunterstützten Psychotherapie – eher erschwert. Das liege aber im Dienste des ökonomischen Gesamtsystems, dem ja vor allem an relativ besinnungslosen Dauerkonsumenten gelegen ist.

Sinnvoll sei es stattdessen, die Ursachen des Missbefindens zu analysieren und anschließend konsequenterweise das Interesse der Betroffenen weg von der materiellen Welt und dem Konsum hin zu ihren Mitmenschen und sinnvollen Beschäftigungen zu lenken.

Mir erscheint die Kritik Schmidbauers in der Substanz durchaus berechtigt, teilweise allerdings auch überzogen. Insbesondere kenne ich genügend Menschen, die alles andere als oberflächlich sind, sich hauptsächlich mit anderen Menschen auseinandersetzen, sehr bewusst mit sich und der Welt umgehen und trotzdem an irgendeinem Punkt auf Antidepressiva zurückgegriffen und von ihnen profitiert haben. Wer aber gern eine gehörige Dosis Fundamentalkritik als Anregung zum Nachdenken möchte, ist hier gut bedient.

 

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