Fast jeden Tag werden uns zehntelprozentgenau die aktuellen Wachstumszahlen der Wirtschaft oder einzelner Branchen in den Medien mitgeteilt, und wächst es nicht genug, erhebt sich schnell Geschrei. Da ist es doch eine interessante Frage, ob vielleicht ein Prozent Wachstum für die Industrieländer dauerhaft ausreichen könnte, um uns ein auskömmliches Leben zu sichern und gleich noch eine Menge anderer Probleme zu lösen, wenn man etwas an den Rahmenbedingungen schraubt.
Genau dieser Frage widmen sich Jorgen Randers und Graeme Maxton in dem aktuellen „Bericht an den Club of Rome“, erschienen in diesm Sommer und von den etablierten Medien schon in Grund un Boden diskutiert. Kein Wunder, leider wachsen auch Verlage nur, wenn die Gesamtwirtschaft wächst. Die Kritik reichte von unzutreffenden Voraussetzungen über falsche Zusammenhänge bis hin zu längst widerlegten Behauptungen.
Am besten macht man sich von heiß diskutierten Werken ein Bild, indem man sie selbst liest. Deshalb hier kurz, wie das Buch „Ein Prozent ist genug“ aufgebaut ist. Die erste Hälfte des Buches befasst sich damit, wieso alle immer aufs Wirtschaftswachstum bauen und warum das heute oft keine Lösung mehr bringt. Kapitel 7 wirft einen Blick darauf, was möglicherweise passiert, wenn wir, um unbeeinträchtigt weiterzuwachsen, das Klima ruinieren und wiederlegt die Mär von der Entkopplung – die sei, so die Autoren, bisher immer nur lokal gelungen und zwar dadurch, dass man alles, was Dreck und Kohlendioxid macht, auslagert, zum Beispiel nach China. Da fällt die Entkopplung von Wachstum und Kohlendioxidausstoß im heimischen Deutschland natürlich leicht.
Anschließend skizzieren die Autoren ihre neue Perspektive: eine Gesellschaft mit dauerhaft nur wenig steigendem BIP, schrumpfendem CO2-Fußabdruck, einer durch Umverteilung bewirkten gleichmäßigeren Verteilung von Einkommen und Vermögen, etwas bezahlter Arbeit für jeden (einschließlich Pflegearbeit), ausreichender Regulierung, ausreichenden Finanzmitteln für die Abwehr von Klimawandelfolgen, die sich schon jetzt nicht mehr verhindern lassen und statt des täglichen BIP-Herbetens ein objektiviertes Maß für die Messung des menschlichen Wohlbefindens, das fortan als Messlatte für menschlichen Fortschritt gelten soll.
In den folgenden Kapitel werden dann 13 Maßnahmen beschrieben, die sich nach Meinung der Autoren kurzfristig umsetzen ließen, ohne das bestehende Gefüge sofort bis in die Grundfesten zu erschüttern. Über letzteres kann man freilich durchaus geteilter Ansicht sein. Die ausreichende Entlohnung von privater Haus- und Pflegearbeit beispielsweise ist zwar insbesondere aus Sicht der sie mehrheitlich leistenden weiblichen Bevölkerung durchaus erstrebenswert, aber es dürften sich selbst bei Grünen und Linken keine Mehrheiten dafür finden. Ähnliches ließe sich für nahezu jede Forderung der beiden Autoren sagen, die auch selbst schreiben, dass sie mit erheblichen Widerständen gegen ihre Vorschläge rechnen. Erst recht kann man wahrscheinlich davon ausgehen, wenn ein hochrangiger Vertreter der Ölindustrie jetzt den US-Außenminister mimen soll.
So wird wohl leider das Meiste in diesem Buch zumindest hierzulande und den meisten anderen Industrieländern längere zeit ein schöner Traum bleiben, obwohl es durchaus Ansätze in Einzelbereichen gibt, die in die Richtung von Maxton und Randers weisen, beispielsweise die generell kürzeren Arbeitszeiten und die größere Familienveranrtwortung, die Männer in der Regel in Nordeuropa übernehmen, die Messung des „menschlichen Glücks“ in einem der Himalayastaaten oder der bislang gescheiterte Versuch, eine Finanztransaktionssteuer einzuführen.
Wer weiß, vielleicht beginnt man nach der nächsten wirtschaftlichen oder ökologischen Katastrophe ja grundlegend darüber nachzudenken, was geändert werden müsste und greift dann auf dieses Werk zurück. Doch auf die zu warten, ist auch wieder blanker Zynismus. Insofern ist das Buch eine Lektüre, die eingefahrenes Denken auf den Kopf stellt und sehr anregend ist. Man darf sich von der schwierigen Realisierbarkeit der Vorschläge gerade in unserem wirtschafts- und wachstumsfixierten Exportland nur nicht gleich den Spaß verderben lassen.
Jorgen Randers & Graeme Maxton: Ein Prozent ist genug. Mit wenig Wachstum soziale Ungleichzeit, arbeitslosigkeit und Klimawandel bekämpfen. Gebunden, 288 Seiten, diverse s/w Grafiken. Oekom-Verlag, München, 2016. ISBN 9-78365-818102, 22,95 Euro.