Solarstrom privat selber machen und verbrauchen: Schlechte Norm in Arbeit, Gegennorm braucht Unterstützer

Wer träumt nicht manchmal vom Solarmodul am Balkongitter? Heute allerdings in Deutschland (im Gegensatz etwa zu den Niederlanden oder der Schweiz) kein Thema. Begründung: die Sicherheit sei nicht gewährleistet. Nun also sitzt man endlich an einer neuen Norm für solche Systeme, die die schöne Bezeichnung DIN VDE 0100-551-1 (VDE 0100-551-1):2016-09 tragen soll. Einwendung der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie (DGS): Durch die jetzt geplante Norm wird die Nutzung solcher Systeme unnötig kompliziert gemacht, so dass sie unattraktiv werden. Sie hat einen eigenen Normentwurf erarbeitet, der hier endlich mehr Raum schafft, ohne die Sicherheit zu beeinträchtigen und der online auf der Seite PVplug steht. Außerdem steht dort auch die Begründung für die Kritik im Detail und ein elektronisches Einspruchsformular, das man ruck-zuck ausfüllen, an die Mailadresse dke(at)vde.com (bitte das (at) durch @ ersetzen!)  kann und damit vielleicht verhindert, dass die Solarenergie am Balkongitter dank reichlicher Lobbypräsenz in den entscheidenden Gremien bei uns niemals in großem Umfang Wirklichkeit wird und damit ein Stück mögliche Autonomie flöten geht. Bis 26. Dezember sind noch Einsprüche möglich. Also: an die Arbeit!

Windindustrie gegen den Strich gebürstet

Von der Windindustrie erhoffen sich viele erhebliche Beiträge zur Energiewende. Andererseits rührt sich aber auch erheblicher Widerstand. Wer besser verstehen will, was Windgegner an- und umtreibt und sich ein eigenes Urteil über deren Argumente bilden möchte, sollte  „Geopferte Landschaften. Wie die Energiewende unsere Umwelt zerstört“, herausgegeben von Georg Etscheit, einem Journalisten, der für die erste Sahne der deutschen Medien (Zeit, Süddeutsche Zeitung, dpa) schreibt, lesen. Etscheit lässt in dem Band alle zu Wort kommen, die die Windkraftgegner in Deutschland mit Argumenten befeuern. Diese im Einzelnen zu bewerten, möchte ich dem lesenden Publikum überlassen .

Die Herangehensweise ist jedenfalls umfassend – von Senior-Naturschützen wie dem Ex-BUND (Bund Naturschutz Deutschland)-Chef Hubert Weinzierl oder Enoch zu Guttenberg über Künstler, Geistliche, heimatverbundene Einzelpersonen bis hin zu Energiespezialisten wie dem Physiker Dirk Dubbers und dem Wirtschaftswissenschaftler Dr. Nikolai Ziegler, der heute dem Verband Vernunftkraft, einer Vereinigung von 600 Anti-Windkraft-Initiativen vorsteht, bis hin zum Wachstumskritiker Niko Paech, der in Bescheidenheit und Schrumpfung die einzige Lösung für das ökologische Dilemma sieht. Paech gibt aber im Gespräch auch gern freimütig zu, dass er eine echte Chance für sein Credo nur nach großangelegten Katastrophen annimmt.

Die Alternativen außer Schrumpfung sind rar. Aussagen wie die, es sei doch sehr gut, dass Öl in Zukunft in den Teersänden Alaskas abgebaut werde – schließlich handele es sich bei den USA und Kanada im Gegensatz zu den jetzigen Ölförderländern um Demokratien oder die, man könne doch in der Wüste Strom erzeugen, um den Maghreb und dann Westeuropa mit Elektrizität zu versorgen, machen nachdenklich. Als ob es in Alaska keine Bewohner gäbe, die sich genauso verzweifelt gegen den landschaftszerstörenden Teersandabbau stemmten wie die bayerischen „Ureinwohner“ gegen Windmühlen im Oberland. Und als ob es nicht weit naheliegender wäre, überschüssige Strommengen aus der Sahara nach Schwarzafrika zu leiten statt ausgerechnet nach Westeuropa. Hier wird die Welt immer noch behandelt, als sei sie einzig dafür gemacht, von den Industriegesellschaften zum eigenen Nutzen abgeweidet zu werden – nur am besten nicht da, wo man sich selbst befindet.

Ob man die Argumente der Windgegner nun teilt oder nicht, das lesenswerte Buch macht nachdenklich, und sei es nur deshalb, weil es wieder einmal vor Augen führt, wie schwierig bis unmöglich es ist, bei Fortführung unseres derzeitigen Wachstumsmodells umweltverträgliche und vor allem Natur bewahrende Lösungen für die Energieversorgung zu finden.

Georg Etscheit (Hrsg.) Geopferte Landschaften. Wie die Energiewende unsere Umwelt zerstört. Broschiert, 367 Seiten, farbige Fotografien. Heyne-Verlag, München, 1996. ISBN 978-3-453-20127-9, 16,99 Euro.

Wirtschaftswachstum: Reicht ein Prozent?

Fast jeden Tag werden uns zehntelprozentgenau die aktuellen Wachstumszahlen der Wirtschaft oder einzelner Branchen in den Medien mitgeteilt, und wächst es nicht genug, erhebt sich schnell Geschrei. Da ist es doch eine interessante Frage, ob vielleicht ein Prozent Wachstum für die Industrieländer dauerhaft ausreichen könnte, um uns ein auskömmliches Leben zu sichern und gleich noch eine Menge anderer Probleme zu lösen, wenn man etwas an den Rahmenbedingungen schraubt.

Genau dieser Frage widmen sich Jorgen Randers und Graeme Maxton in dem aktuellen „Bericht an den Club of Rome“, erschienen in diesm Sommer und von den etablierten Medien schon in Grund un Boden diskutiert. Kein Wunder, leider wachsen auch Verlage nur, wenn die Gesamtwirtschaft wächst. Die Kritik reichte von unzutreffenden Voraussetzungen über falsche Zusammenhänge bis hin zu längst widerlegten Behauptungen.

Am besten macht man sich von heiß diskutierten Werken ein Bild, indem man sie selbst liest. Deshalb hier kurz, wie das Buch „Ein Prozent ist genug“ aufgebaut ist. Die erste Hälfte des Buches befasst sich damit, wieso alle immer aufs Wirtschaftswachstum bauen und warum das heute oft keine Lösung mehr bringt. Kapitel 7 wirft einen Blick darauf, was möglicherweise passiert, wenn wir, um unbeeinträchtigt weiterzuwachsen, das Klima ruinieren und wiederlegt die Mär von der Entkopplung – die sei, so die Autoren, bisher immer nur lokal gelungen und zwar dadurch, dass man alles, was Dreck und Kohlendioxid macht, auslagert, zum Beispiel nach China. Da fällt die Entkopplung von Wachstum und Kohlendioxidausstoß im heimischen Deutschland natürlich leicht.

Anschließend skizzieren die Autoren ihre neue Perspektive: eine Gesellschaft mit dauerhaft nur wenig steigendem BIP, schrumpfendem CO2-Fußabdruck, einer durch Umverteilung bewirkten gleichmäßigeren Verteilung von Einkommen und Vermögen, etwas bezahlter Arbeit für jeden (einschließlich Pflegearbeit), ausreichender Regulierung, ausreichenden Finanzmitteln für die Abwehr von Klimawandelfolgen, die sich schon jetzt nicht mehr verhindern lassen und statt des täglichen BIP-Herbetens ein objektiviertes Maß für die Messung des menschlichen Wohlbefindens, das fortan als Messlatte für menschlichen Fortschritt gelten soll.

In den folgenden Kapitel werden dann 13 Maßnahmen beschrieben, die sich nach Meinung der Autoren kurzfristig umsetzen ließen, ohne das bestehende Gefüge sofort bis in die Grundfesten zu erschüttern. Über letzteres kann man freilich durchaus geteilter Ansicht sein. Die ausreichende Entlohnung von privater Haus- und Pflegearbeit beispielsweise ist zwar insbesondere aus Sicht der sie mehrheitlich leistenden weiblichen Bevölkerung durchaus erstrebenswert, aber es dürften sich selbst bei Grünen und Linken keine Mehrheiten dafür finden. Ähnliches ließe sich für nahezu jede Forderung der beiden Autoren sagen, die auch selbst schreiben, dass sie mit erheblichen Widerständen gegen ihre Vorschläge rechnen. Erst recht kann man wahrscheinlich davon ausgehen, wenn ein hochrangiger Vertreter der Ölindustrie jetzt den US-Außenminister mimen soll.

So wird wohl leider das Meiste in diesem Buch zumindest hierzulande und den meisten anderen Industrieländern längere zeit ein schöner Traum bleiben, obwohl es durchaus Ansätze in Einzelbereichen gibt, die in die Richtung von Maxton und Randers weisen, beispielsweise die generell kürzeren Arbeitszeiten und die größere Familienveranrtwortung, die Männer in der Regel in Nordeuropa übernehmen, die Messung des „menschlichen Glücks“ in einem der Himalayastaaten oder der bislang gescheiterte Versuch, eine Finanztransaktionssteuer einzuführen.

Wer weiß, vielleicht beginnt man nach der nächsten wirtschaftlichen oder ökologischen Katastrophe ja grundlegend darüber nachzudenken, was geändert werden müsste und greift dann auf dieses Werk zurück. Doch auf die zu warten, ist auch wieder blanker Zynismus. Insofern ist das Buch eine Lektüre, die eingefahrenes Denken auf den Kopf stellt und sehr anregend ist. Man darf sich von der schwierigen Realisierbarkeit der Vorschläge gerade in unserem wirtschafts- und wachstumsfixierten Exportland nur nicht gleich den Spaß verderben lassen.

Jorgen Randers & Graeme Maxton: Ein Prozent ist genug. Mit wenig Wachstum soziale Ungleichzeit, arbeitslosigkeit und Klimawandel bekämpfen. Gebunden, 288 Seiten, diverse s/w Grafiken. Oekom-Verlag, München, 2016. ISBN 9-78365-818102, 22,95 Euro.