In der Wachstumsfalle – neue Lektüre zu einem schwierigen Thema

Grünes Wachstum hieß die Devise in den vergangenen Jahren, doch funktioniert dieses Konzept wirklich, und funktioniert es schnell genug, um den Klimawandel rechtzeitig abzubremsen – ehe dieser nämlich den Globus Schrittchen für Schrittchen in ein Chaos verwandelt? Diese Fragen sind trotz Flüchtlingskrise nicht obsolet, eher im Gegenteil. Gehören doch Massen von Umweltflüchtlingen zu den übereinstimmend prognostizierten Schreckensszenarien in einer klimagewandelten Welt.
Mit dem Thema Green Growth beschäftigt sich in ihrem vor einigen Monaten bei Blessing erschienenen Buch „Aus kontrolliertem Raubbau“ die als Kritikerin der herrschenden ökonomischen Verhältnissen bekannte Journalistin Kathrin Hartmann. Sie hat sich auf ihren ausführlichen Recherchen auch am Ort des Geschehens unter anderem die Themen Palmölexport, Shrimpsfarmen, Agrogentechnik und Forschungsförderung durch die Gates-Stiftung herausgepickt. Am besten und ausführlichsten ist ihre Kritik an zwei Vorzeigeprojekten der sogenannten grünen Wirtchaft im Süden: der Anbau von Ölpalmen, seien die Plantagen nun zertifiziert oder nicht, und der Aufbau von Shrimpsfarmen in dafür geeigneten Gegenden, oft anstelle der dort früher befindlichen Reisfelder. Die Bilanz Hartmanns für beides fällt verheerend aus, und leider betrifft das auch die Zertifizierungsprojekte, die mit diesen beiden Formen der Landnutzung verbunden sind. Am erschütterndsten ist, dass in den Gegenden, wo sie sich ausbreiten, nun statt der früheren Ernährungssouveränität Hunger herrscht. Andere Kapitel sind weniger überzeugend, vor allem deshalb, weil Hartmann hier weniger auf den eigenen Augenschein vertraut, als Quellen mehr oder weniger zu übernehmen, die selbst erst vor kurzem erschienen sind. So zitiert Hartmann in ihrem Kapitel über Geoengineering exzessiv aus Naomi Kleins letztem Buch „Die Entscheidung: Kapitalismus oder Klima“. Wer es gelesen hat, wie wahrscheinlich manch eine Person, die auch zu Hartmanns Buch greift, findet dort kaum noch Neues. Ähnlich das Kapitel über die Gates-Stiftung. Hier wäre weniger mehr gewesen: statt des grlßen Rundumschlags die Fokussierung auf die Themen, wo das Wissen der Autorin dank Augenschein am tiefsten reicht und die Bilder und Fakten, die sie transportiert, die Leserschaft eigentlich nicht unberührt lassen können. Fazit: Green Growth ist eine Illusion, gerade in Landwirtschaft und Tierzucht wird gelogen, dass sich die Balken biegen, und zudem liegt mit dem Weltagrarbericht längst eine sehr hochrangige Expertise auf dem Tisch, die glaubhaft belegt, dass mit den Produkten der Agrargiganten auf die Dauer die Menschheit nicht satt zu bekommen ist, sondern nur mit relativ kleinteilgem, ökologischem Mischfruchtanbau. An den hier vorgeschlagenen Methoden lässt sich freilich nicht so viel von Firmen wie BASF oder Monsanto verdienen.
Wer es gern etwas theoretischer hätte, kann zur „Kritik der grünen Ökonomie“, herausgegeben vom Münchner Oekom-Verlag zusammen mit der Heinrich-Böll-Stiftung greifen. Der Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks, ist ein Vertreter des grünen Wachstums, weil sich sonst der Wohlstand der „unterentwickelten Länder“ nicht ausreichend steigern ließe, um die dortigen Menschen zufriedenzustellen und gleichzeitig die hiesigen Sozialsysteme zerfielen, sobald das Wachstum ausfällt. Gleichzeitig gibt es in der Heinrich-Böll-Stiftung auch eine ganze Reihe von Kritikern am nunmehr zur offiziellen Politiklinie gereiften Green-Growth-Ansatz. Das Buch kommt eher aus dieser Quelle. Es rollt das Thema in drei großen Abschnitten auf und plädiert am Ende für ein wieder errichtetes Primat der Politik. Teil 1 behandelt die teils sattsam bekannten kritischen Themen Klimawandel, Artenverlust, Verlust an Bodenfruchtbarkeit und soziale Ungleichheit, um abschließend das Konzept des Green Growth vorzustellen. Teil zwei erklärt und kritisiert verschiedene aktuelle Konzepte, die mit rein ökonomischen und technologischen Mitteln das Problem in den Griff bekommen wollen, etwa die „Inwertsetzung“ von Natur und Gemeinschaftsressourcen wie Luftreinheit und Innovation sowie die damit verbundenen Mechanismen wie den Handel mit Klimazertifikaten. Im dritten Teil setzen sich die Autoren mit Ansätzen der Umweltpolitik auseinander, etwa mit dem Zertifikatehandel und mit der Unmöglichkeit, dass das Handeln der Zivilgesellschaft allein das Problem lösen kann, etwa durch bewusste Kaufentscheidungen. Abschließend fordern sie eine neue „Politische Ökologie“, die die blinden Flecke der derzeitigen, rein ökonomisch ausgerichteten Lösungsversuche ersetzen und durchaus auch die Macht- und Gestaltungsfrage neu stellen soll.
Wer anspruchsvolle Grafiken zur Untermauerung der These, dass dauerhaftes Wachstum unmöglich ist, sucht, sollte zu der vor kurzem erschienenen
Band „Weniger wird mehr“ der Veröffentlichungsreihe Atlas der Globalisierung“ von Le Monde Diplomatique zu Rate ziehen. Die Veröffentlichung wurde gestaltet mit dem Kolleg „Postwachstumsgesellschaften“ der Universität Jena. Angefangen bei den Folgen unseres Wirtschaftens reicht das Themenspektrum der zwei-bis vierseitigen Artikel über die verschiedenen Postwachstumsgesellschafts-Denkansätze bis hin zu Schlussfolgerungen, die wahrscheinlich nicht jeder teilt, aber die zumindest jeder kennen sollte. Die Grafiken sind gelegentlich sehr komplex, so dass man zu ihrem Verständnis beinahe länger braucht als zum Lesen. Wohl mit am wichtigsten ist ein Artikel etwa in der Mitte der Publikation, der erklärt, warum sich alle so schwer tun damit, sich vom Wachstum zu verabschieden – nämlich, weil keiner weiß, wie man ohne unangenehme Verwicklungen von A nach B kommen soll. Daran müsse noch geforscht und entwickelt werden, heißt es. Leider aber ist genau davon weder in Mainstream-Ökonomie, noch in Mainstream-Politik viel zu spüren.

Bibliographie: Thomas Fatheuer, Lili Fuhr, Barbara Unmüßig: Kritik der Grünen Ökonomie. 196 Seiten, broschiert, Oekom-Verlag München 14,95 Euro. ISBN 9-78365-817488
Kathrin Hartmann: Aus kontrolliertem Raubbau. Wie Politik und Wirtschaft das Klima anzeizen, Natur vernichten und Armut produzieren. 447 Seiten, broschiert, Blessing-Verlag München, 18,99 Euro. ISBN 978-3-89667-532-3. Taz-Genossenschaft: Le Monde Diplomatique/Kolleg Postwachstumsgesellschaften: Atlas der Globalisierung – Weniger wird mehr. 173 Seiten, DIN A 4 broschiert, 16 Euro, ISBN 978-3-937683-57-7

Eine kurze Geschichte des Stickstoffs

Wer denkt schon an Stickstoff, wenn er oder sie ein Butterbrot isst? Dabei läge der Gedanke nahe, denn erst mit der industriellen Stickstoff-Herstellung mit dem sogenannten Haber-Bosch-Verfahren steht der Dünger in großen Mengen außerhalb der Bodenkreisläufe zur Verfügung. Weil das Verfahren energieintensiv ist, ist die künstliche Stickstoffherstellung nur in der Industriegesellschaft denkbar und einer der wichtigsten Gründe, warum die Zahl der Menschen auf der Erde in den letzten Jahrzehnten so schnell gewachsen ist: Ohne den vielen Dünger hätten so viele Menschen voraussichtlich schlicht nicht ernährt werden können. Das Buch „N- Stickstoff – ein Element schreibt Weltgeschichte“ ist Band 9 der Reihe Stoffgeschichten des Oekom-Verlags in Kooperation mit dem Wissenschaftszentrum Umwelt der Universität Augsburg. Es macht wie schon die Vorläuferbände klar, wie eng menschliches Handeln und Stoffkreisläufe mittlerweile verknüpft sind. Es beleuchtet die Geschichte des Stickstoff von den ersten Erkenntnissen über seine Rolle als Pflanzennährstoff über die die ersten Methoden zur „Stickstoffernte“ bis hin zur industriellen Stickstofferzeugung. Inzwischen wird mit industriellen Verfahren so viel Stickstoff aus der Atmosphäre geholt wie alle Bakterien weltweit binden. Die Folgen sind Überdüngung, Nitratverseuchung des Trinkwassers, Umkippen von Seen und Meeren. Alternativen? Gibt es derzeit wohl nicht, jedenfalls habe ich in dem Buch keine finden können. Die Sprache der verschiedenen Beiträge, die jeweils von hochrangigen Experten stammen, ist teils sehr anschaulich, teils eher für Chemiker geeignet. Wer etwas Geduld mit den wissenschaftlicheren Passagen hat, wird hier viel darüber erfahren, warum und wie Stickstoff und seine Nutzung den Planeten beeinflussen. Erfreulich ist die hochwertige, gebundene Aufmachung mit zahlreichen, auch farbigen Abbildungen. Wer gerne experimentiert, findet im hinteren Teil einige einfach durchführbare Versuche, mit der sich etwas über Stickstoff, seine Verbreitung und seine Rolle herausfinden lässt.

Bibliographie: Gerhard Ertl, Jens Soentgen (Hrsg.) : N Stickstoff –ein Element schreibt Weltgeschichte. Oekom-Verlag, München, 2015. 261 Seiten, gebunden, zahlreiche farbige und s/w-Abbildungen, ausführliches Autorenverzeichnis. 24,95 Euro, ISBN 978-3-86581-736-5