Selfies, neue Technologie, ein Plädoyer für Großzügigkeit und ein Abschied

Diesmal gibt es drei Rezensionen. Die erste dreht sich um ein Buch, das sich mit einem Phänomen des Smartphone-Zeitalters beschäftigt: dem Selfie. Wie ein Selfie entsteht, weiß die geneigte Leserschaft wahrscheinlich sowieso, deshalb erspare ich das Thema.

Hier geht es darum, was Menschen mit Selfies anstellen und was sich dadurch ausdrückt. Das Buch ist leider sehr soziologisch geschrieben, bringt aber doch einige erhellende Aspekte in dieses Massenphänomen. Nach theoretischen Abhandlungen, die das Selfie als Kommunikationshandeln analysieren, geht es ins Detail. Es wird eine Art Typologie von vier Selfie-Typen entwickelt und jeweils geschaut, was sie charakterisiert.

Dabei geht es zum ersten um die sogenannten „Rich Kids“, also Influencer, die ihren Konsum per Selfie im Internet ausstellen und andere zur Nachahmung animieren wollen, weil sie damit ihr Geld verdienen. Gruppe zwei sind diejenigen, die das Selfie-Schießen mit dem Benutzern von Ego-Shootern oder ähnlichen Spielen verbinden. Gruppe drei umfasst die Angehörigen der Quantified-Self-Bewegung. Das sind Menschen, die sich mit Hilfe digitaler Mittel ständig selbst vermessen, ihre Messungen im Internet öffentlich machen und darüber mit anderen in eine Art Vergleichswettbewerb treten. EIne andere Form b besteht darin, möglichst leistungsfordernde oder aufregende Abenteuer online beispielsweise per Helmkamera oder Selfie-Kamera festzuhalten und die Bilder dann im Web zu veröffentlichen. Die vierte Gruppe umfasst Menschen, die man als Anhänger einer Selfie-geprägten Erinnerungskultur begreifen könnte. Sie besuchen beispielsweise KZ-Gedenkstätten und dokumentieren ihre Besuche mit Bildern, die sie jeweils selbst in verschiedenen Situationen und Befindlichkeiten an dem jeweiligen Erinnerungsort zeigen. Diesen Teil empfand ich als am interessantesten, weil hier die Theorie durch viele Bildbeispiele untermauert und damit anschaulich wird.

In einem abschließenden Kapitel geht es um Gegenbewegungen zum Selfie-Kult, sozusagen um Anti-Selfies, um Ironisierungen von Selfies und damit um die Entmachtung dieses Bildtyps, der in den letzten Jahren sehr überhand genommen hat. Hier sollen Inhalte wieder anstelle von Gesichtern mit irgendwelchen darauf gespiegelten Emotionen treten. Und dies ist ja in der Diskussion um Nachhaltigkeit durchaus auch ein Thema.

Wer gern einmal auf gehobenem inhaltlichen Niveau mit dem Phänomen Selfie auseinandersetzen möchte, ist mit dem Buch aus dem transcript-Verlag gut bedient.

Mit den beiden übrigen Büchern begeben wir uns wieder auf das Feld der Nachhaltigkeit und Zukunhftsfähigkeit im engeren Sinn. Dabei ist eines sehr nachdenklich, das andere sehr optimistisch. Fangen wir mit dem nachdenklichen an. Fred Luks, Ökonom, befasst sich in seinem Buch „Ökonomie der Großzügigkeit“ damit, dass Spar- und Effizienzzwang mitnichten zu mehr Nachhaltigkeit führen, sondern nur dazu, dass sich das Rädchen immer schneller dreht, ohne dass am Ende irgendwas eingespart wird.

Dem setzt Luks ein Konzept der Großzügigkeit entgegen, das er dann für unterschiedliche Bereiche durchdekliniert. Dabei versteht er unter Großzügigkeit nicht das sinnlose Verschleudern von Ressourcen, sondern versteht den Begriff eher als maßvolles Verhalten. Im Umgang mit Zeit soll das beispielsweise bedeuten, nicht die letzte Effizienzressourcen im Bereich der Zeitplanung zu realisieren, sondern eher so zu planen, dass Zeitreserven vorhanden sind. I(m Umgang mit Material würde die so verstandene Großzügigkeit bedeuten, eben nicht just in time jedes Teil sekundengenau anzuliefern, sondern beispielsweise eine gewisse Lagerhaltung zu betreiben, die Unabhängigkeit von ellenlangen weltweiten Lieferketten und ihren Unwägbarkeiten herstellt.

Im Umgang mit Aufmerksamkeit würde es bedeuten, den Informationsinput nicht so lange zu optimieren, bis buchstäblich nichts mehr in den Kopf passt – was auch heißen kann, den Umgang mit digitalen Medien zu limitieren. Und im Umgang mit Fehlern oder Schulden die Möglichkeit, sich selbst solche zu verzeihen und Schulden gegebenenfalls auch zu erlassen, wenn das aus gesamtgesellschaftlicher Sicht sinnvoll erscheint.

Obwohl sich nicht immer erschließt, warum solche an sich vernünftigen Verhaltensweisen unbedingt unter den Oberbegriff Großzügigkeit subsumiert werden müssen – den der Autor auch an mehreren Stellen als Angemessenheit paraphrasiert – ist das Buch doch eing interessante gedankliche Anregung.

Schließlich der Optimist: Spiegel-Autor Ulrich Fichtner versucht, dem allgemeinen Zukunftspessimismus mit seinem Buch „Geboren für die großen Chancen“ ein Bild der Welt der Zukunft entgegenzusetzen, das diese auch für die nachkommenden Generationen noch lebenswert scheinen lässt. Dabei ist er, wie er im ersten Teil seines Buchs beschreibt, durchaus der Meinung, dass unsere bisherige Wirtschaftsweise ein notwendiges Ende erreicht hat.

Deshalb stehe aber mitnichten ein Weltuntergang bevor, sondern eine Verwandlung der bisherigen Wirtschaftsweise, die zwar schon in vollem gang sei, die wir aber nicht richtig wahrnehmen. Der wichtigste Motor dafür ist nach Meinung Fichtners die technische Innovation, die gerade jetzt rasant voranschreite. Diese These untermauert der Autor durch viele Beispiele aus den Themenbereichen Energie, CO2-Beseitigung, Recycling und geschlossenen Stoffkreisläufen, Entmaterialisierung durch Digitaltechnik, digitalen Zwillingen und KI, Zell- und Gentechnik.

Schließlich beschreibt der Autor mögliche Lebenswelten eines heute geborenen Kindes in einigen Jahrzehnten, die sehr anschaulich beschreiben, was möglich ist und sich wahrscheinlich verändern wird. Gleichzeitig aber auch, was wahrscheinlich für ein Kind auch dann noch so bleibt, wie es heute ist.

Wer Kinder hat oder will und daran zweifelt, ob es sinnvoll war oder ist, sie in diese Welt zu setzen, könnte von diesem Buch profitieren, das allzu finsteren Perspektiven einen positiveren Blick entgegenstellt.

Und nun noch eine Mitteilung in eigener Sache: Nach diversen Jahren, in denen auf diesem Blog so manches interessante Buch vorgestellt und besprochen wurde, möchte ich meine Rezensionstätigkeit jetzt beenden. Ich glaube, dass das Thema Nachhaltigkeit endgültig in der Realität angekommen ist. Dass wir uns damit befassen müssen, weiß heute jeder (außer einigen wenigen), und das ist etwas, das sich gegenüber der Zeit, in der ich anfing, nachhaltigkeitsbezogene Bücher und Bücher zu alternativen Wirtschaftsmodellen zu rezensieren, noch anders war. Zumindest empfinde ich es so. Ich möchte deshalb allen danken, die ab und zu bei „Andere Wirtsachaft“ vorbeigeschaut haben oder es noch tun werden und würde mir wünschen, dass manche aus eigenem Antrieb weiter nach entsprechenden Büchern suchen, sie lesen und von ihnen profitieren.

Die Texte bleiben vorläufig online.

Bibliographie:

Ramon Reichert: Selfies. Selbstthematisierung in der digitalen Bildkultur. 197 Seiten, broschiert, zahlreiche Abbildungen in s/w. Transcript-Verlag, Reihe Digitale Gesellschaft, Bielefeld 2023. ISBN 978-3-8376-3665-9. 30,00 Euro. Auch als PDF/ePUB.

Ulrich Fichtner: Geboren für die großen Chancen. Über die Welt, die unsere Kinder und uns in Zukunft erwartet. Gebunden, 311 Seiten, DVA/Spiegel-Buchverlag, München 2023. ISBN 978-3-421-07015-9, 24 Euro.

Fred Luks: Ökonomie der Großzügigkeit. Wie Gesellschaften zukunftsfähig werden. 338 Seiten, broschiert. Transcript-Verlag, Reihe XTexte, Bielefeld 2023. ISBN 978-3-8376-7028-8. 32,00 Euro, auch als ePUB und pdf.