Ziel: Zwei Milliarden

Wir sind zu viele, und zwar überall. Das dämmert immer mehr Menschen. Eine Autorin, die diese Idee mit einem umfassenden Konzept der Nachhaltigkeit verbindet, ist Eileen Crist in ihrem aus dem Englischen übertragenen Werk „Schöpfung ohne Krone“. Crist geht dabei wahrhaft auf der tiefsten Ebene an das Problem der (fehlenden) Nachhaltigkeit heran und diagnostiziert die unhinterfragt angenommene Idee der menschlichen Überlegenheit als Ursache für das Übel. Der derzeit gern gebrauchte Begriff des Anthropozän gieße weiteres Öl in dieses Feuer, zementiere er doch den Überlegenheitswahn des Menschen.

Mit geschliffenen Argumenten ficht Crist dafür, die Vorstellung, der Mensch sei aus der Natur als Super-Alpha-Räuber mit besonderen Vorrechten hervorgegangen, in Frage zu stellen. Dies sei, wie etwa die Mär vom ewigen Wirtschaftswachstum, nichts anderes als ein ideologisches Konstrukt, ein Überlegenheitskomplex, um die derzeitige Form des Wirtschaftens, die Vorherrschaft technologischer Lösungen und letztlich die Interessen westlicher Gesellschaften und der Eliten rund um den Globus zu schützen.

Deshalb sei die Lösung der Probleme auch mitnichten in einem technologischen Overkill aus Erneuerbaren Energien, Genmanipulation und Geo-Engineering.

Es gehe vielmehr darum sich klar zu machen, dass Menschen sehr wohl in der Lage seien, sich in eine Welt einzuordnen, in der sie nur noch gleichberechtigt neben den übrigen Lebewesen stehen statt irgendwie darüber, sagt Crist. Sie beruft sich dabei auf indigene Völker, etwa die Indianer, die ihre Lebensräume mitnichten zerstörten.

In diesem Zusammenhang wendet sie sich gegen die in den letzten Jahren laut gewordenen These, sehr frühzeitige Aussterbephasen, etwa die der Großsäuger, seien ausschließlich oder vorwiegend auf den Menschen zurückzuführen. Das anzunehmen, sei exakt ein Teil des vorherrschenden Größenwahns bezüglich der Rolle der Menschen und daher eine Projektion. Auch die Vorstellung von indigenen Völkern als Ressourcenmanager lehnt sie ab. Indigene würden sich eben nicht als Ressourcenmanager betrachten, sondern als lebendiger Teil der Ökosphäre, der sie nur so viel entnommen hätten wie nötig, um zu überleben.

Betrachte sich der Mensch als eines von vielen Rädchen im Getriebe, führe das zum Respekt vor jedem Lebewesen und den Zusammenhängen zwischen den einzelnen Organismen statt zur Zerstörung des Gesamtzusammenhangs zugunsten der menschlichen Selbstentfaltung.

Zu dieser Sicht müssten wir zurück, freilich ohne wieder nackt durch den Dschungel zu springen oder uns von der Hand in den Mund zu ernähren. Außerdem müsse die industrielle Landwirtschaft komplett beendet und durch nachhaltige, ökologische Anbauweisen ersetzt werden. Und schließlich müsse sich die Menschheit auf rund zwei Milliarden Menschen verkleinern. Das wäre etwa ein Viertel der jetzigen Weltbevölkerung, ungefähr so viel wie zwischen 1965 und 1970. Schon damals kam einem der Planet ja nicht unbedingt entvölkert vor. Nur gab es nicht unbedingt und überall Gedränge.

Dies würde es, so die Autorin, gestatten, einiges vom Komfort unserer heutigen Lebensweise aufrecht zu erhalten. Gleichzeitig könnte man ökologisch und ganzheitlich anbauen und sogar in Maßen Fleisch oder Fisch verzehren. Schließlich könnte man mit kleinerer Menschheit große Areale als Wildnis, als Ort einer freien Evolution des Lebens, weitgehend ohne Störung durch den Menschen, zu bewahren, was letztlich das Ziel von Crist ist.

Den Weg zu dieser Reduktion der Bevölkerung sieht sie nicht etwa in Verboten, sondern als Erfolg von Einsicht, Verfügbarkeit von Verhütung, Ermächtigung, Bildung und Alternativen für Frauen neben dem Dasein als Hausfrau und Mutter. Für Alternativen zum ständigen Gebären, so die Autorin, seien die meisten Frauen sehr offen.In einer Übergangsphase brauche man Maßnahmen, die die Auswirkung auf die Rentensysteme abfedern. Dann könne man die Reduktion in hundert Jahren schaffen.

Insgesamt wirkt das Konzept zwar schlüssig, aber doch ziemlich romantisch und auch teils schwach verargumentiert. So kann man durchaus darüber streiten, ob der zerstörerische Einfluss der Menschheit auf die übrige Ökosphäre nicht vor allem durch die beginnende Merkantilisierung, die Ausbeutung der südlichen Länder, dann die Verwendung fossiler Ressourcen und die daran anschließende Industrialisierung entstanden ist. Schließlich wurde die industrialisierte Landwirtschaft mit ihren Düngerorgien erst durch die fossile Energiegewinnung möglich.

Richtig ist sicher, dass wir das Bevölkerungswachstum zügeln und die Bevölkerungszahlen der Welt senken sollten, und zwar überall, damit mehr Platz für naturbelassene Landschaft bleibt und der Dichtestress abnimmt. Ob Essen und Trinken für zehn Milliarden reichen würden, ist umstritten, gilt aber heute bei der herrschenden Meinung als denkbar – allerdings nur auf einem umfassend verplanten Globus, der für Wildnis eben keinen Platz mehr hat.

Dennoch fragt man sich, auch in Anbetracht der aktuellen Krise, woher die mentalen und materiellen Ressourcen kommen sollen, um ein solches Mammutprojekt global zu stemmen. Es stimmt allerdings, dass der Vermehrungsdrang inzwischen weltweit abnimmt, aber die Bevölkerungsgesamtzahl steigt. Daher ist es aktuell wahrscheinlicher, dass schneller als solche Pläne umgesetzt werden können, Missernten und Hunger, Krankheiten und Kriege ihr Teil zur Dezimierung beitragen. Corona und Klimawandel lassen grüßen.

Bibliographie: Eileen Crist, Schöpfung ohne Krone. Warum wir uns zurückziehen müssen, um die Artenvielfalt zu bewahren. Gebunden, 396 Seiten, umfangreiches Fußnoten- und Literaturverzeichnis. Oekom-Verlag, München, 2020. ISBN 9-783962-381782, 28 Euro.