Wenn man schon nirgends hinreisen kann, weil das Corona-Virus immer schon da war wie bei Hase und Igel, ist es doch schön, wenn das Reisen wenigstens auf dem Papier funktioniert. Wie bei den beiden Veröffentlichungen, die ich im Dezember vorstellen möchte.
Das erste wäre das klassische Abenteuerbuch, wenn es nicht in der Realität spielte. „Eingefroren am Nordpol – Das Logbuch der Polarstern“ ist nicht etwa ein Remake der Berichte über die wahnwitzigen Arktis-Expeditionen des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Vielmehr geht es um eines der größten wissenschaftlichen Abenteuer, die hier auf Erden noch zu erleben sind oder waren: einen einjährigen Trip zu den nördlichsten Zonen der Erde, einschließlich Einfrieren, monatelanger Drift auf/an einer Eisscholle, herumstreunender Eisbären, Stürmen, Nordlichtern und jeder Menge Frost, aber auch viel zu viel Sonnenschein. Brühwarm berichtet von Expeditionsleiter Markus Rex. Tag für Tag darf die Leserschaft miterleben, wie heute eine solche Expedition abläuft, was es praktisch bedeutet, Wissenschaft zu betreiben und dies auf einer fei schwimmenden Eisschicht, die manchmal brüchig ist wie ein Stück altes Holz und manchmal so solide wie ein Stahlbetonfußboden.
Wissenschaftlich war die Aufgabe, ganzjährig den Lebenszyklus des Meereises und unzählige weitere meteorologische, ozeanografische, biologische und so weiter Parameter zu erfassen. Das wurde noch nie getan, ist aber dringend erforderlich, um die bestehenden Klimamodelle und damit das Verständnis des gesamten Klimasystems zu verbessern, das sich derzeit rasant verändert und möglicherweise zu kippen droht.
Beim Lesen erfährt man viel über die Mühen der Forschung, aber auch die Begeisterung der Wissenschaftler*Innen, das Leben an Bord in der Arktischen Nacht, die Neugier arktischer Tiere, die Aufregung über neue Erkenntnisse. Vor allem aber erfährt man hautnah, was es bedeutet, wenn das Eis schmilzt, weil die Witterungsbedingungen gerade an den Polen sich durch die Klimakatastrophe, in der wir uns bereits mittendrin befinden, gravierend ändern.
Wer es nach der Lektüre dieses Buches immer noch für möglich hält, dass eine gravierende Änderung des Erdklimas durch menschlichen Einfluss eine Erfindung interessierter Kreise ist, dem oder der ist nicht mehr zu helfen. Aber es gibt ja auch Leute, die meinen, die Erde sei eine Scheibe, die Welt wäre in sieben Tagen erschaffen worden und der Apfel fiele nach oben.
Während die verständliche Begeisterung des Expeditionsleiters manchmal durchaus etwas sprachlich abwechslungsreicher hätte vermittelt werden können (es sei ihm verziehen, schließlich ist er Wissenschaftler und nicht Unterhalter), sind die vielen Farbbilder, mit denen das Buch ausgestattet ist, wirklich einmalig. Sie zeigen die Arktis, wie sie heute ist und vielleicht schon in zehn oder zwanzig Jahren nicht mehr sein wird, weil das Eis immer schneller schmilzt, die Polarnacht, den ewigen Tag und eine Landschaft, die in jedem Stadium schlicht ehrfurchtgebietend ist.
Weltwirtschaft verstehen leicht gemacht
Um Wirtschaft rund um die Welt geht es in dem zweiten Buch, das ich vorstellen möchte. Eigentlich ist es eher eine Broschüre als ein Buch. Der Informationsgehalt jedenfalls ist knackig, und man findet dort Erklärungen und Zusammenhänge, die selten gemeinsam dargestellt werden. Der „Atlas der Weltwirtschaft 2020/21“ liefert „Zahlen, Fakten und Analysen zur globalisierten Ökonomie“ und enthält einen umfangreichen Sonderteil zum Thema Corona, weil dieses nun einmal die Welt in dem besprochenen Zeitraum komplett in Atem gehalten hat.
Zum Autorenteam gehört Prof. Dr. Heiner Flassbeck, viele Jahre lang für die UNCTAD als Chefvolkswirt mit Schwerpunkt Globalisierung und Entwicklungspolitik zuständig. Flassbeck hat schon viele Bücher zu Wirtschaftsthemen für ein breites Publikum geschrieben und ist es gewohnt zu vermitteln. Friederike Spiecker und Stefan Dudey sind erfahrene Berater und waren jeweils jahrelang in der Wirtschaftsforschung tätig.
In der Veröffentlichung findet man deshalb nicht nur Daten und Zahlen. Die einzelnen Themen sind sinnvoll aufeinander aufgebaut, umfassend erklärt und werden miteinander in Beziehung gesetzt.
Außerdem wird auch erklärt, was mit den einzelnen Parametern gemeint ist, wie sie berechnet werden oder eben aufgrund fehlender Daten nicht oder nicht ausreichend genau berechnet werden können. Gerade solche Informationen helfen Menschen, die sich in den Zusammenhängen internationalen Wirtschaftens oder aber auch der Wirtschaftsstatistik nicht gut auskennen, zu verstehen, was die betrachteten Daten wirklich aussagen. Bunte und übersichtlich gestaltete Grafiken verdeutlichen das im Text Gesagte.
Die DIN-A-4-Broschüre beginnt mit der Frage, wie groß die Weltwirtschaft derzeit ist (gemessen am BIP) und was die Probleme dieser Messmethode sind, liefert anschließend jeweils weltweite Daten zu Konsum, Investitionen, Außenhandel (mit expliziter Kritik am deutschen Exportparadigma), Wertschöpfung, Arbeitslosigkeit, Sparen und Verschulden, der Preisentstehung und -entwicklung, Zinsen, Wechselkursen, Löhnen und schließlich zu Bevölkerungsentwicklung und Klimawandel. Die letzten beiden Kapitel mögen manchen etwas „angeflanscht“ scheinen. Ich halte sie aber für eminent wichtig, bilden doch die Ressourcenlage und die Menschen, unter denen diese Ressourcen aufgeteilt werden müssen, den globalen Rahmen der gesamten Wirtschaftstätigkeit. Das wird inmitten des alltäglichen Gerangels um Unsatz- und Wachstumsdaten allzu oft vergessen. Möglicherweise hätte man diese Kapitel sogar an den Anfang stellen sollen, damit beide Themen endlich das nötige Gewicht bekommen.
In der Mitte befindet sich ein ausführlicher Teil zum Thema Corona und die weltweiten wirtschaftlichen Auswirkungen auf dem Stand August 2020. Interessant wäre zu sehen, wie sich gerade dieser Zahlenblock über das Jahr 2021 fortentwickelt.
Wichtig ist noch zu wissen, dass die Autoren sich explizit vom neoliberalen Stil eines Wirtschaftens mit minimiertem staatlichen Einfluss abwenden. Steuernde Akteure wie Staat und Notenbanken, so wird mehrfach betont, sind unbedingt notwendig genau wie ausreichende und stabil steigende Löhne, Gehälter und Honorare, will man ein Schwanken der Wirtschaft zwischen hoher Inflation und Deflationsverfahren verhindern und langfristig gesellschaftlichen Wohlstand aufbauen. Ferner sind die Autoren fest davon überzeugt, dass dauerhaftes Wachstum und Nachhaltigkeit prinzipiell vereinbar sind. Auch wer diese Grundeinstellungen nicht teilt, findet genügend interessantes und gut dargestelltes Zahlenmaterial, um in dieses Werk zu investieren.
Übrigens: Bücher kauft man nicht bei irgendeinem anonymen Online-Händler, sondern beim Buchhändler des Vertrauens in der Nähe. Auch und erst recht während Corona. Denn dann können Sie sich darüber freuen, einen interessanten Arbeitsplatz im Inland erhalten zu helfen statt öder Lagertätigkeiten beim Onlinehändler und dazu beizutragen, dass unsere Innenstädte und Gemeinden nicht veröden.
Heiner Flasbeck, Friederike Spiecker, Stefan Dudey: Atlas der Weltwirtschaft 2020/21. Zahlen, Fakten und Analysen zur globalisierten Ökonomie. Broschiert,129 Seiten, zahlreiche farbige Abbildungen. Westend-Verlag Frankfurt 2020. ISBN 978-3-86489-295-0, 18,00€
Markus Rex, Expeditionsleiter: Eingefroren am Nordpol. Das Logbuch von der „Polarstern“. Gebunden, reich bebildert, 319 Seiten. C.Bertelsmann Verlag/Random House, München 2020. ISBN 978-3-570-10414-9.