Die Marktwirtschaft zu reparieren, damit sie ihre derzeitigen Schieflagen verliert – diese Idee kommt derzeit mit erhöhter Intensität in die Diskussion. Eine weitere Variante des Themas präsentieren Oliver Richters und Andreas Siemoneit, beide wirtschaftswissenschaftlich und als Physiker ausgebildet, nun in dem Buch „Marktwirtschaft reparieren“, das im Ökom-Verlag erschienen ist.
Dabei analysieren die Autoren zunächst die Frage, ob ein Wachstumszwang besteht und bejahen diese, kommen als Physiker aber zu dem Schluss, dass es in einer endlichen Welt kein unendliches Wachstum geben könne – auch kein „qualitatives“, da ressourcensparende technische Fortschritte durch Kompensationseffekte (Rebound) sofort wieder zunichte gemacht werden. Die Frage ist für die Autoren also, wie eine marktwirtschaftliche Ordnung, die nachhaltig wirtschaftet, aussehen kann. Denn zu Planwirtschaft oder Sozialismus wollen sie nicht zurück oder hin, da sie Marktwirtschaft im Prinzip für gut und die derzeitigen Erscheinungen für Deformierungen halten.
Das Modell, dass die beiden Autoren „ihrer“ idealen Marktwirtschaft zugrunde legen, ist ordoliberal. Sie berufen sich auf den 1950 verstorbenen ordoliberalen Ökonomen Walter Eucken, der der sogenannten Freiburger Schule angehörte und mit Alfred Müller-Armack und Ludwig Erhard das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft entwickelte.
Sodann definieren sie das Konzept und die Begriffe, die einer idealen Marktwirtschaft zugrundelegen, wobei sie als Grundübel leistungslose Einkommen (staatliche Altersrenten und Sozialtransfers sind damit nicht gemeint) ausmachen. Mit Hilfe grundlegender Begriffe wird der wirtschaftliche Kreislauf, wie er funktionieren sollte, beschrieben.
Marktwirtschaft: Woran sie krankt
Im nächsten großen Abschnitt des Buches werden in vier Kapiteln Bereiche beschrieben, die nach Meinung der Autoren in der heutigen Marktordnung nicht gut funktionieren. Dabei kommen zwei verbreitet kritisierte Aspekte zur Sprache, nämlich die Kreditschöpfung durch Geschäftsbanken und die Kapitalakkumulation bei Großunternehmen.
Zwei andere Aspekte werden eher selten herangezogen, um das wenig ideale Funktionieren marktwirtschaftlicher Prozesse – zumindest aus der Perspektive der Nachhaltigkeit – zu beleuchten: es handelt sich um uferlose Steigerungen des Bodenwertes und den Zusammenhang zwischen ständigem technologischem Innovationsdruck, Ressourcenverbrauch und Wachstumszwang.
Die Kritik an Innovation um jeden Preis wird vielen nicht schmecken, gilt sie doch heute als Rettung aus den meisten wirtschaftlichen Nöten. Die Autoren argumentieren allerdings, dass neue Technologien heute in erster Linie dazu dienen, menschliche Arbeit durch Ressourcenextraktion zu ersetzen. Letztere erhält aber kein Preisschild und daher ist Technik immer günstiger als Menschen zu beschäftigen.
Auch die Kritik an der Bodenordnung trifft sicher jeden Eigenheimbesitzer ins Herz, gilt doch die Bodenpreissteigerung als zuverässiges Halteseil mancher sonst noch so hanebüchener Kreditvereinbarungen für Eigenheimerwerber. Als hätte es 2008 und die Folgen nie gegeben.
Maßnahmen inklusive
Jedes Kapitel schließt mit politischen Maßnahmen, wie sich diese Problematik zugunsten eines ausgewogeneren und nachhaltigeren Wirtschaftsmodells aushebeln lässt. Dabei werden auch Einwände und Hindernisse diskutiert. Das alles hier aufzuführen, sprengt den Rahmen einer Rezension.
Das Buch schließt mit einem ausführlichen Literaturteil, aber nicht als Liste, sondern als Text. Dort beschreiben die Autoren kapitelweise geordnet die Lektüre, die sie beflügelt oder an der sie sich gerieben haben. Das ist hilfreich für diejenigen, die das Thema vertiefen möchten. Außerdem verweisen sie für weitere Recherchen auf die Seite www.marktwirtschaft-reparieren.de.
Fazit
Das Marktwirtschafts-Reparaturkonzept klingt schlüssig und gut durchdacht. Die meisten Einzelmaßnahmen sind schon einmal vorgeschlagen worden, aber hier macht es die Kombination. Am Ende soll wieder eine „Soziale Marktwirtschaft“, diesmal aber mit Nachhaltigkeitsfaktor stehen. Doch wäre es beileibe nicht das erste Mal, dass ein solches Konzept erdacht, aber nicht umgesetzt wird. Wie schreiben Oliver Richters und Andreas Siemoneit am Ende? „Aber vielleicht ist ‚der Mensch‘ ja nicht nur für den Sozialismus, sondern auch für die Marktwirtschaft zu schlecht.“ Hoffen wir, dass nicht.
Bibliographie: Oliver Richters, Andreas Siemoneit: Marktwirtschaft reparieren. Entwurf einer freiheitlichen, gerechten und nachhaltigen Utopie. Oekom-Verlag München 2019, broschiert,196 Seiten, einige s/w Abbildungen. ISBN 9-783962-380991, 17,79 Euro.