„Europa – Ein Kontinent als Beute“, ein Dokumentarfilm von Christoph Schuch und Rainer Krausz sucht Erklärungen für die nun schon seit 2007/2008 andauernde Finanz- und Wirtschaftskrise, die in Europa länger anhält als in den USA. Dabei bleibt der Film allerdings zu eindimensional und bedient sich teilweise zweifelhafter Zeugen für seine Argumentation – zumindest, wenn man davon ausgeht, dass nicht jeder glaubwürdig ist, nur weil er oder sie einen Bestseller geschrieben hat.
Formal besteht der 78 Minuten lange mit düster-schriller Geräusch-/Musikkulisse untermalte Streifen aus in der Regel schwarz-weißen Segmenten, die verlassene Landstriche, vertrocknete und ungepflegte agrarische Flächen, verrottete Industriegebiete, Bauruinen und andere Denkmäler oder Symbole des ökonomischen Niedergangs zeigen. Diese Teile intermittieren mit Interview-Sequenzen, die die Erklärungen liefern zum Krisengeschehen.
Dabei greifen die Filmemacher auf mehrere Erklärer zurück. Zum einen ist da Fabio de Masi, der für Die Linke im Eurpaparlament sitzt. Er schildert beispielsweise das überbordende Lobbying im Umfeld des Europaparlaments und die enge Verstrickung von Finanz- und anderen Industriebranchen mit der Politik, insbesondere mit einigen EU-Kommissaren. Er wirkt in Darstellung und Argumentation überzeugend.
Flankiert wird er von zwei zumindest umstrittenen Zeugen: Da wäre erstens der Börsenguru Dirk Müller. Seine Börsenprognosen bezüglich des Crash-Geschehens erwiesen sich als zutreffend, was ihm den Guru-Rang bescherte und seine zwei Bücher „Crashkurs“ und „Showdown“ zu Bestsellern machte. Diese schillernde Persönlichkeit vertritt Ideen wie den Aufbau von Lokalwährungen und will am liebsten zur Golddeckung von Währungen zurück, zumindest ersteres durchaus ein grün-alternatives Konzept. Allerdings scheut sich Müller auch nicht, seine Theorien auch in der rechtspopulistischen Zeitschrift Compact zu verbreiten und spricht gern von „Völkern“, was im Kontext solcher Medien zumindest verdächtig ist. Sein letztes Buch, „Showdown“, wurde von Medien wie Spiegel Online als stark verschwörungstheoretisch angehaucht rezensiert.
Der zweite fachkundige Zeige ist der Schweizer Dr. Daniele Ganser, der unter anderem Internationale Beziehungen, Politik, Philosophie und Englisch studierte und an der London School of Economics forschte. Ganser hält beispielsweise das Attentat vom 11.9.2001 nicht für das Werk von Terroristen, sondern für ein abgekartetes Spiel von wirtschaftlich-politischen Eliten aus den USA, was ihm ebenfalls den Ruf eines Verschwörungstheoretikers einbrachte. Heute leitet Ganser SIPER (Schweizer Institut für Friedens- und Energieforschung).
Weiter kommen als Augenzeugen einer wuchernden Bauindustrie, die am Bedarf vorbeibaut und dann leerstehende Ruinen hinterlässt, und verheerender Geldverschwendung auf kommunaler Ebene noch Aktivisten aus Valencia zu Wort. Eine Aktivistin aus Portugal berichtet von der dortigen Abwanderungswelle junger, gut ausgebildeter Menschen. Wirklich neu ist das nicht.
Das gilt auch für die Erklärung des Debakels der südeuropäischen Länder: Für Ganser und Müller ist die unselige Allianz zwischen Finanz- und Ölindustrie sowie mit diesen Sphären verbandelten machtgierigen Politikern (und politikerinnen) allein Schuld an der Misere Europas. Die Diagnose, die wichtigen politischen Institutionen auf europäischer Ebene seien systematisch von Finanzkapitalisten unterwandert und das Finanzkapital würde Europa ausbeuten, trifft sicher zu, ist aber zu eindimensional.
Es wird vollkommen ausgeblendet, dass nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Mauerfall buchstäblich Milliarden bisher vom Geschehen abgekoppelte Menschen aus China und Osteuropa ihr Leistungsvermögen auf den Arbeitsmärkten dieser Welt verfügbar machten und dadurch die Löhne auch hier drückten – sei es, dass sie selbst den Ort wechselten wie osteuropäische Pflegekräfte oder Schlachthofmitarbeiter, sei es, dass die Produktion zu ihnen kam, wovon hierzulande jeder durch gern genutzte Billigangebote von Smartphone bis Kleidung profitiert. Dabei machte das Fehlen sichtbarer, erfolgreicher Alternativen den schrankenlosen Liberalismus erst für die Mainstream-Politik attraktiv. Nicht umsonst hat ausgerechnet Rot-grün in Deutschland den Börsenhandel liberalisiert. Die gesamte Argumentation des Films ist zu selbstgerecht und zu Europa-zentriert – so bleiben die Millionen Chinesen und Inder, die in den letzten 20 Jahren die absolute Armut hinter sich gelassen haben, freilich unter hier unzumutbaren Arbeitsbedingungen und großen Umweltschädigungen, vollkommen außer Betracht. Dabei ist ihre Existenz eines der stärksten Argumente der Globalisierungsbefürworter.
Außerdem hätte man sich mehr konkrete Lösungsvorschläge statt des großen Rundumschlages gewünscht, doch nur de Masi brachte hier einiges auf den Tisch – beispielsweise eine Reform des Agrarsystems, die Exporte von Agrargütern aus Europa zurückschneidet oder die seit langem diskutierte, aber nicht umgesetzte Finanztransaktionssteuer oder gemeinsame Aktionen gegen Steuervermeidung. So bleibt beim Betrachter vor allem ein Gefühl der Hilflosigkeit zurück – der (europäische) Zuschauer als Beute hoffnungsloser Verhältnisse. Der Film kommt Ende Februar in die Kinos.