Nicht immer geht es beim Thema Nachhaltigkeit und anderes Wirtschaften nur um die Neuorientierung industrieller Produktion. Wer wirklich anders und gerechter wirtchaften will, muss auch im Auge behalten, welche Art von Arbeit wie auf die Geschlechter verteilt wird und was das über die gegenwärtigen Geschlechterverhältnisse aussagt. Ein Beispiel dafür ist die Prostitution, ein Berufszweig, der weit überwiegend von Frauen ausgeübt, dessen gewinne aber ebenfalls weit überwiegend von Männern abgeschöpft werden.
In Deutschland wurde Prostitution mit der rot-grünen Reform vom Anfang des Jahrtausends zum Wirtschaftszweig wie jeder andere ernannt, was Prostituierten das Leben erleichtern sollte. Gut gemeint, aber von einer im Nachhinein geradezu erschütternden Naivität geprägt, ging dieses Gesetz gründlich daneben. Zwar trat so gut wie keine Prostituierte wie erträumt in die Sozialversicherungen ein. Dafür sorgte die neue rechtliche Lage dafür, dass in Deutschland Riesenbordelle entstanden, in denen Massen von Prostituierten, größtenteils zwangsimportiert aus anderen Ländern, für unsägliche Honorare Dienst am häufig per Bus aus strengeren Nachbarländern angekarrten und in der Regel männlichen Kunden tun. Gelegentlich werden in solchen Einrichtungen Bier, Bockwurst und Frauen satt für unter zehn Euro angepriesen.
Durch diese Zustände induziert, ist seit dem vergangenen Jahr im Rahmen einer geplanten rechtlichen Neuregelung hierzulande eine intensive Debatte über die rechtliche Handhabung von Prostitution entbrannt. Das Buch der irischen Ex-Prostituierten Rachel Moran lässt sich als Beitrag zu dieser Debatte lesen. Moran arbeitete selbst im Alter von 14 bis 22 Jahren in Irland als Prostituierte in verschiedenen Settings und kennt daher die Branche aus eigener Erfahrung. Im Gegensatz zu vielen anderen, die das Thema heute in Talkshows diskutieren, analysiert sie die Auswirkungen, die diese Berufstätigkeit auf ihr Seelenleben hatte und hat, und die psychischen Voraussetzungen, die es ihr überhaupt attraktiv erscheinen ließen, in die Prostitution einzusteigen, in begrüßenswert schonungsloser Deutlichkeit.
Manchmal ist es harter Tobak, wenn sie beschreibt, wie Dissoziation –also die Trennung zwischen Selbst und eigenem Handeln – die Grundvoraussetzung dafür ist, für Geld sexuelle Dienstleistungen zu vollziehen. Die drei wichtigsten Qualifikationen, die sie für ihre Tätigkeit brauchte, beschreibt sie an einer Stelle so: „die Fähigkeit, den eigenen Würgereflex zu kontrollieren“ (beim Oralsex mit Männern), „die Fähigkeit, den Drang zum Weinen zu unterbinden“ und „die Fähigkeit sich vorzustellen, die aktuelle Realität sei nicht echt“. Die Folge sind häufig posttraumatische Belastungsstörungen, die die Opfer oft lebenslang begleiten. Moran setzt sich auch damit auseinander, warum in der Öffentlichkeit immer wieder Prostituierte, Bordellbetreiber und andere auftreten, die diesen Job als Arbeit wie jede andere verteidigen oder andere Auffassungen verbreiten, die Moran kurz und bündig als „Prostitutions-Mythen“ bezeichnet. Wer immer über die richtige Regulierung der sogenannten Sexarbeit nachdenkt, sollte diesen Text kennen und in die eigenen Erwägungen zu dem Thema einbeziehen.

Bibliographische Angaben: Rachel Moran: Was vom Menschen übrigbleibt. Die Wahrheit über Prostitution. Aus dem Englischen übertragen von Maria Heydel. Tectum-Verlag, Marburg, 2015. Broschiert, 387 Seiten. ISBN 978-3-8288-3458-3, 17,95 Euro

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