(Wie) Geht Nachhaltigkeit psychologisch?

Nachhaltigkeit ist inzwischen eine Art Zauberwort, in das sich nahezu alles einpacken lässt. Der Begriff wird heute derart verwässert, dass man auch dauerhaftes Wirtschaftswachstum als nachhaltig begreift, was ja eigentlich genau das Gegenteil ist, nämlich nicht nachhaltig. Zwei Bücher aus dem oekom-Verlag beschäftigen sich mit der Frage, wie wirkliche Nachhaltigkeit – also dauerhaftes menschliches Leben auf einer Erde mit den vorhandenen Ressourcen, ohne den Nachkommen und anderen Lebewesen die Lebensmöglichkeiten über Gebühr zu beschneiden, aussehen könnte.
Das erste, „Damit gutes Leben einfacher wird“ befasst sich mit den Rahmenbedingungen, die der Staat setzen müsste (es aber häufig unterlässt), damit suffizientes Verhalten nicht das schweißtreibende und noch dazu gesellschaftlich relativ ineffiziente Hobby einzelner Gutwilliger bleibt, sondern zur gesellschaftlichen Leitlinie wird. Und es räumt auf mit dem Vorurteil, dass dauerhaftes Wachstum auch in den entwickelten Ökonomien irgendetwas mit Lebensqualität zu tun hat. Geschrieben haben es Uwe Schneidewind, Leiter des Wuppertal-Instituts für Klimaforschung, und Angelika Zahrnt, langjährige Vorsitzende des Bund Naturschutz und bis heute Mitfrau des Rates für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierun. Die beiden legen ein viergliedriges Konzept zugrunde und untermauern dieses dann mit Maßnahmen, die in vier Kapiteln dargestellt werden. Als die vier Säulen ihres Konzepts nennen sie Ermöglichen, Rahmensetzung, Gestaltung und Orientierung (ERGO). Die einzelnen Maßnahmen, die in den vier ersten Kapiteln (eins zu jeder Säule) vorgeschlagen werden, sind dabei an sich nichts Neues (dezentrale Energieversorgung und Energieeinsparung, ökologische Steuerreform, Entschleunigung, Verteuerung des Flugverkehrs….). Sie werden hier aber unter dem Label Suffizienzpolitik konsequent zu einer sinnvollen Einheit verschweißt, die von Anfang an klar macht, wohin das Ganze zielt: Nämlich auf ein gutes Leben trotz sehr geringem oder keinem Wirtschaftswachstum. Dass der Zug, strebt man Nachhaltigkeit an, unweigerlich in diese Richtung fährt, darum reden sich die meisten Umweltpolitiker inzwischen nämlich vornehm herum, sogar bei den Grünen ist heute leider von „Green Growth“ statt von Suffizienz und damit Wachstumsverzicht die Rede. Ein weiteres Kapitel befasst sich mit der Rolle der Zivilgesellschaft, von der momentan die konsequenteren Ansätze in dieser Richtung ausgehen. Die Autoren zeigen auf, wie Bürger, Umweltverbände, Gewerkschaften, Wissenschaft, Unternehmen und andere sich auf den Weg zur Suffizienz machen können. Das Büchlein im handlichen Kleinformat passt in jede Tasche und eignet sich daher als argumentative Munitionierung für entsprechende Debatten.
Das zweite Buch, „Psychologie der Nachhaltigkeit“, befasst sich mit der interessanten Frage, welche seelischen Ressourcen eigentlich dem Wachstum gerwöhnten Menschen der Neuzeit zur Verfügung stehen, um mit einem Verlust an Wachstumsperspektiven auf der materiellen Ebene fertig zu werden. Nach der Analyse der bisherigen Forschung aus verschiedenen Gebieten ordnet der Autor das Thema in einen theoretischen Rahmen ein, die sogenannte Genuss-Ziel-Sinn-Theorie des subjektiven Wohlbefindens, die sich grob dahingehend zusammenfassen lässt, dass es sich, zumindest wenn ein Minimum materieller Güter vorhanden ist, lohnt, sich stärker auf immaterielle Ziele zu konzentrieren, um Glück, Zufriedenheit und Lebenssinn zu steigern. Damit dies gelingen kann, identifiziert der Autor sechs Ressourcen, nämlich Genussfähigkeit, Selbstakzeptanz, Selbstwirksamkeit, Achtsamkeit, Sinnkonstruktion und Solidarität, die, optimal ausgeschöpft, erreichen können, dass Menschen sich von Gelderwerb als Glücksquelle ab- und anderen Themen zuwenden. In den nachfolgenden Kapiteln untersucht er, wie einzelnen gesellschaftliche Akteure, angefangen beim Individuum bis hin zu Organisationen aller Art und zum Gemeinwesen (Gemeinde, Land, Staat…) dazu beitragen können, dass die vorher definierten Ressourcen optimal entwickelt und genutzt werden können.
Dankenswerterweise setzt sich der Autor auch damit auseinander, was es bedeutet, wenn einzelne Ressourcen „überentwickelt“ werden: Wer nur an den Genuss denkt, wird kaum aus Solidarität aus irgendwas verzichten, wer nur die Solidarität im Auge hat, wird wahrscheinlich schnell einem Burnout zum Opfer fallen und so weiter. Auch andere kritische Aspekte werden diskutiert, beispielsweise die der „positiven Psychologie“ häufig unterstellte fehlende Wissenschaftlichkeit oder das Problem, wer eigentlich bestimmt, wie viel Glück ausreicht und wie das überhaupt zu messen ist etc. Eine umfangreiche Literaturliste ietet Anregungen zum Weiterlesen. Leider ist das Buch im gegensatz zur ersten Publikation in einem zum Teil extrem hölzernen Wissenschafts-Jargon geschrieben, die an sich hochinteressanten Inhalte werden dadurch schwer verdaulich. Das ist schade. Wem ein Übermaß an -ung-, heit-, keit und Schachtelsätzen nichts ausmacht, wird das Buch trotzdem mit Gewinn lesen.

Bibliographie:
Uwe Schneidewind, Angelika Zahrnt: Damit gutes Leben einfacher wird. Perspektiven einer Suffizienzpolitik. Broschiert, 171 Seiten, oekom-Verlag, München, 2013. ISBN 9-783865-814418, 12,95 Euro.
Marcel Hunecke: Psychologie der Nachhaltigkeit. Psychische Ressourcen für postwachstumsgesellschaften. Broschiert, 121 Seiten, oekom-Verlag München 2013. ISBN 9-783865-814524, 19,95 Euro.